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Clara

69,XXX - Triploidie
still geboren 36. SSW, Oktober 2005

Zuletzt aktualisiert: Oktober 2005

Beginn der Schwangerschaft und Ultraschalluntersuchung in der 11. SSW

Die Schwangerschaft kam überraschend, denn mit einem Kind wollten wir eigentlich noch ein bisschen warten. Doch plötzlich, wir wussten selbst nicht genau, wie und wann es genau passiert ist, war unser Baby da! Es hat es sich einfach so gemütlich gemacht in meinem Bauch. Unser allererstes und wichtigstes Gefühl während der Schwangerschaft war Ehrfurcht. Ehrfurcht für dieses winzige Wesen, das es geschafft hatte, sich einzunisten. Alles verlief optimal. Mir ging's nie schlecht, abgesehen von gelegentlichen Kreislaufproblemen. In der 11. Woche wurde die Nackentransparenz gemessen. Alles ebenfalls optimal. Nur ein Hormonwert war merkwürdig. Wenn man diesen Wert isoliert betrachtete, kam eine Wahrscheinlichkeit von 1:92 für Trisomie 13 oder 18 dabei heraus, zusammen mit dem Ultraschallbefund aber eine Wahrscheinlichkeit von 1: 800, so dass wir mit diesen Zahlen sehr gut leben konnten und uns nichts weiter dabei dachten.

Ultraschalluntersuchung in der 22. SSW

Die große Ultraschalluntersuchung in der 22. SSW, die wir aufgrund des Hormonwertes doch im Krankenhaus bei einem Spezialisten machen ließen, brachte aber leider neue Erkenntnisse. Der Arzt hat sich unser Baby bestimmt 50 Minuten mit dem Ultraschallgerät angeschaut. Es sind ihm einige Dinge aufgefallen, die alle für sich genommen völlig harmlos sind und mal vorkommen, aber zusammengenommen auf Trisomie 18 hindeuten könnten (Schwerstbehinderung). Und zwar hatte unsere Tochter (es ist Clara!) einen White spot auf dem Herzen (ein weißer Fleck), ein bisschen zuviel Wasser im Gehirn (allerdings ganz grenzwertig) und die großen Zehen standen etwas ab. Außerdem hatte er den Verdacht auf einen Ventrikelseptumdefekt, ein winzigkleines Loch im Herzen. Der Arzt war sich selbst unsicher, hat geguckt und geguckt und letztendlich gesagt, dass er uns keine allzu große Angst machen möchte, aber dass er auch nicht sagen könne, dass alles in Ordnung sei. Er würde uns zur Fruchtwasseruntersuchung raten. Er hat uns Wahrscheinlichkeiten von 1:252 für Trisomie 13+18 und 1: 167 für Trisomie 21 ausgerechnet. Das Fehlgeburtsrisiko bei einer Fruchtwasseruntersuchung liegt aber bei 1:100 oder 1:200. Deshalb zögerten wir stark und entschlossen uns zunächst zu einer weiteren Ultraschalluntersuchung zwei Tage später in der Uniklinik.

Zwei verschiedene Ärzte untersuchten unsere Clara und beide mussten die Ergebnisse aus dem Krankenhaus bestätigen. Sie haben diese Ergebnisse und die schlechten Hormonwerte aus der 11. Woche dann in den Computer eingespeist, der dann eine relative Wahrscheinlichkeit für Trisomien ausrechnet. Die Nackentransparenz, die wie oben erwähnt optimal war, haben sie dabei aber nicht berücksichtigt und zwar nur aus dem Grund, dass sie die nicht selbst gemessen haben und wissenschaftlich nicht absichern können, dass sich der Kollege nicht vielleicht vermessen hat.

Die Zahlen, die wir mit auf den Weg bekamen, waren erschreckend:

  • Trisomie 21, Wahrscheinlichkeit von 1:2
  • Trisomie 13+18, Wahrscheinlichkeit von 1:6

Aber hätten sie die Nackenttransparenz mit berücksichtigt und der Arzt hatte sich damals garantiert (!) nicht vermessen, dann stimmten wohl die Werte aus dem Krankenhaus. Interessanterweise waren die Werte für Trisomie 21 viel schlechter als für Trisomie 18, aber darauf ging niemand so recht ein und alle waren sich sicher, dass Clara aufgrund der Merkmale keine Trisomie 21 wohl aber eine Trisomie 18 haben könnte. Natürlich wurden wir auch hier wieder über eine Fruchtwasseruntersuchung beraten. Nur für mich kam ein Abbruch der Schwangerschaft nicht in Frage. Insofern wollten wir das Risiko einer Fruchtwasseruntersuchung nicht eingehen.

Unsere Gedanken waren: "Wenn sie krank ist, dann nehmen wir sie trotzdem so wie sie ist. Sie wird uns brauchen und wir werden sie nicht im Stich lassen. Sie hat doch nur uns! Ich bin davon überzeugt, dass wir das schaffen werden. Sie wird schon wissen, warum sie uns als ihre Eltern ausgesucht hat und warum sie immer noch bei uns ist und mein Körper sie nicht verstoßen hat. Ich will bei ihr sein und ihr Mut machen. Ich liebe sie und ich glaube, dass sie gesund ist! Ich werde die Schwangerschaft weiterführen."

Natürlich gab es auch viele Momente, in denen ich nur noch weinen konnte. Ich konnte das alles nicht begreifen. Und ich hätte meiner Tochter so sehr einen gesunden Körper gewünscht. Ich hatte keine Angst davor, dass ich mit ihrer Krankheit nicht umgehen könnte, wenn sie überleben würde, sondern ich hatte Angst vor ihrem Tod. Auch keine Angst, dass ich damit nicht fertig werden könnte, sondern Angst um Clara, dass sie diesen Weg des Abschieds gehen musste. Dieses kleine Menschlein sollte schon erfahren, was es heißt zu sterben? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Aber die Ärzte hatten uns versichert, dass es ihr gut geht und dass sie bestens versorgt sei in meinem Bauch. Das beruhigte mich immer wieder und irgendwie überlebten wir die nächsten Wochen bis zur nächsten Ultraschalluntersuchung in der Hoffnung, dass sich einiges normalisiert hätte.

Ultraschalluntersuchung in der 25. SSW

Eine ganz normale Untersuchung bei meiner Frauenärztin stand an. Das letzte Mal hatte sie nichts Unnormales an Clara feststellen können, obwohl sie wusste, welche Merkmale der Arzt im Krankenhaus entdeckt hatte. Ich hoffte nur, dass sie gewachsen sei! Aber sie war nicht gewachsen! Ich war am Boden zerstört! Der Kopf, die Beine, der Oberkörper waren vier Wochen zurück! Wie konnte es plötzlich zu so einer Wachstumsretadierung kommen? Vor drei Wochen im Krankenhaus war sie doch noch normal? Außerdem würden die Oberschenkel merkwürdig übereinander liegen, die Hände nach innen gehalten sein (Fallhände) und das Kind insgesamt überhaupt nicht gesund aussehen. Das war ein Schock! Ich hatte solche Angst! Ich hatte so gehofft, dass Clara gesund sei, doch nun mussten wir wirklich mit dem schlimmsten rechnen!

Fruchtwasseruntersuchung und das erschreckende Ergebnis (26. SSW)

Nun ließen wir eine Fruchtwasseruntersuchung machen, um Klarheit über das Ausmaß der Chormosomenanomalie zu erhalten. Vier Tage später teilte uns die Humangenetikerin telefonisch das Ergebnis des Fish-Testes mit. Sie hatten die Chromosomen 13, 18, 21 und das Geschlechtschromosom analysiert und ALLE Chromosomen waren dreifach vorhanden! Zwei Wochen später das endgültige Ergebnis: Claras Karyotyp lautete: 69, XXX. Triploidie. Es kommt sehr selten vor, dass Babys mit diesem Erscheinungstyp so lange überleben. Die meisten sterben bereits sehr früh ab und es kommt zu einer Fehlgeburt. Weder die Humangenetikerin noch der Arzt im Krankenhaus kannten einen Fall, wo das Baby so alt wurde wir unsere Clara. Die Chance auf eine Lebendgeburt lag bei 0,1%. Die Ursachen sind völlig zufällig und es ist keine familiäre Häufung bekannt (obwohl ich anschließend Berichte von Eltern fand, die zwei Kinder durch Triploidie verloren haben). Es kann sein, dass zwei Samenzellen eine Eizelle befruchtet haben, oder dass entweder die Eizelle oder die Samenzelle bereits vor der Befruchtung diploid war. Das lässt sich im Nachhinein nie feststellen.

Ich habe verzweifelt im Internet nach Erfahrungsberichten von Eltern gesucht und fand nur drei Fälle aus den USA. Erstaunlicherweise war ein Mädchen dabei, das wie durch ein Wunder bereits 3 Jahre alt war. Das ließ uns noch ein wenig hoffen, obwohl wir selbst nicht recht wussten, was wir uns wünschen sollten. Wie wäre es, wenn Clara wie durch ein Wunder überleben würde? Wie würde es ihr dann gehen außerhalb des Mutterleibes?

Nach dem anfänglichen Schrecken beschlossen wir, jeden Tag mit Clara zu genießen. Es ging ihr absolut gut in meinem Bauch, sagten die Ärzte, und wir redeten mit ihr, streichelten über den Bauch, spielten ihr etwas mit ihrer Spieluhr vor…. Sie war einfach immer ganz bewusst mit dabei und im Nachhinein sind wir sehr froh, dass wir das Leben mit ihr intensiv gelebt und genossen haben. Traurig sein wollten wir jetzt noch nicht, denn sie war immer noch da! Natürlich gab es ab und an Einbrüche und ich konnte nur noch weinen, aber das war selten. Die meiste Zeit über war ich sehr glücklich und ich bin fest davon überzeugt, dass Clara das gespürt hat. Vielleicht war sie auch gerade deshalb so lange bei uns, weil sie unsere Liebe gespürt hat?

Claras Tod (36. SSW)

In der 36. SSW spürte ich Clara dann nicht mehr. Ihre Bewegungen waren immer sehr zaghaft gewesen und es war ohnehin oft schwer, ein Lebenszeichen von ihr zu erhaschen, aber diesmal spürte ich, dass etwas anders war. Ich hatte den Eindruck, dass auch mein kleiner Bauch weicher geworden war. Nach dem Geburtsvorbereitungskurs am Dienstag Abend (27.09.05) fragte ich deshalb meine Hebamme, ob sie nach Claras Herztönen suchen könnte. Sie fand nichts mehr. Clara hatte sich ganz heimlich, still und leise von uns verabschiedet. Ich weiß nicht, wann es passiert ist, aber ich war beruhigt, dass ich das nicht wusste, denn so stellte ich mir vor, dass ihr Herz einfach so aufgehört hatte, zu schlagen. Kein Todeskampf, keine Quälerei. Ich war gar nicht allzu sehr geschockt und alles, was danach kam, spulte ich einfach ab. Meine Tränen wollten nicht fließen, denn mein einziger Gedanke war, jetzt so zu funktionieren, wie die Ärzte es erwarteten und wie es das Beste für mich war. Noch am gleichen Abend fuhren wir ins Krankenhaus, wo sie aber auch nur Claras Tod feststellen konnten. Am nächsten Morgen sollten mein Mann und ich wiederkommen, denn die Geburt sollte eingeleitet werden, was aber durchaus 3-4 Tage dauern könne. Ich war froh, dass wir erst noch einmal nach Hause fahren konnten, denn so hatten mein Mann und ich noch ein bisschen Zeit für uns, um zu realisieren, dass der Körper unserer Tochter zwar noch in meinem Bauch war, dass Clara aber schon längst von uns gegangen war. Trotz der Angst vor der Geburt, kehrte auch ein bisschen Frieden in uns ein. Wir hatten alles für unsere Tochter getan, ihr all unsere Liebe gegeben, und wenn sie schon in meinem Bauch nicht mehr weiterleben konnte, dann hätte sie es außerhalb dieses Ortes ganz bestimmt nicht gekonnt. Sie war einfach nicht lebensfähig.

Das Einleiten der Wehen und Claras Geburt am 01.10.2005 (37. SSW)

Am Mittwoch, den 28.09.2005 begann man im Krankenhaus die Geburt einzuleiten, zunächst mit Tabletten (alle 4 Stunden), dann mit Gel und schließlich mit einem Wehentropf. Das Warten war nicht schlimm. Wir hatten ein Einzelzimmer mit Beistellbett auf der gynäkologischen Abteilung, so dass mein Mann die ganze Zeit bei uns war. Alle haben sich rührend um uns gekümmert. Wir hätten uns kein besseres Krankenhaus vorstellen können. Eine Ordensschwester, die als Krankenhausseelsorgerin arbeitet und speziell Eltern totgeborener, frühgeborener oder behinderter Kinder betreut war oft bei uns und lieh uns immer ihr offenes Ohr oder gab uns durch passende Worte Kraft für die nächsten Stunden und Tage. Das tat unheimlich gut. Nach langer Warterei ging die eigentliche Geburt dank des Wehentropfes endlich am Samstag, den 01.10.2005 um 12.00 Uhr los. Die Hebamme war sehr nett und liebevoll und auch der Arzt sorgte für Beruhigung. Um 17.29 Uhr war unsere Clara dann endlich da. Sie hatte geöffnete Augen. Wie schön wäre es gewesen, wenn sie uns hätte sehen können! Wir wurden direkt erst einmal allein gelassen, damit wir die Zeit zu dritt genießen konnten. Danach wurde sie liebevoll von der Hebamme und der Ordensschwester gesäubert und angezogen. Sie wog aufgrund des sehr kleinen Brustkorbs nur 1120 Gramm, war 41 cm groß und ihr Kopfumfang betrug 28,5 cm.

Anschließend wurde sie auf unser Zimmer gebracht, unsere Familien kamen und kurz danach wurde Clara feierlich von der Ordensschwester eingesegnet. Wir waren überglücklich, dass sie endlich da war und dass wir alles so gut überstanden hatten. Sie blieb die ganze Nacht bei uns und wurde erst am nächsten Mittag vom Bestatter abgeholt.

Am Dienstag, den 04.10.2005 wurde sie im Grab meiner Großeltern beigesetzt. Der Abschied fiel uns sehr schwer. Wir wissen, dass es für Clara das Beste war, dass sie sich die anstrengende Geburt erspart hat, dass sie einfach aus dem Leben gerissen wurde. Sie hat nicht darüber nachgedacht, wird sich wahrscheinlich auch nicht erschrocken haben, sondern ist einfach so von uns gegangen. Ganz heimlich, still und leise. Nur wir bleiben jetzt ohne sie zurück. Wir vermissen sie unendlich. Es war schön, mit ihr schwanger zu sein und es ist so furchtbar schade, dass sie nicht leben konnte. Aber manche Leben dauern eben nicht sehr lang, auch wenn wir das nicht gerne wahrhaben wollen. Sie hat in ihrem kurzen Leben aber viel Gutes erreicht, hat uns viel über das Leben beigebracht, uns die Liebe und das Mitgefühl anderer Menschen spüren lassen und wir möchten die Zeit mit ihr nicht missen. Sie war ein Geschenk und wir werden sie immer in unserem Herzen bei uns tragen.

Zuletzt aktualisiert: Oktober 2005