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Luis

Markerchromosom 11 im Fruchtwasser und im Nabelschnurblut
geb. Juni 2004

Zuletzt aktualisiert: Sommer 2005

Als unsere Tochter fast zwei Jahre alt war, erwachte in mir der Wunsch nach einem Geschwisterchen für sie. Mein Mann war einverstanden und wir legten los. Ich wurde auch sofort schwanger, hatte jedoch in der 10. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt aufgrund einer Blasenmole (das ist auch nichts Schönes, gehört aber nicht hierhin). Im Krankenhaus sagte man uns, wir müssten ein halbes Jahr warten bis zum nächsten Versuch, da war ich schon ziemlich fertig, weil ich zu diesem Zeitpunkt bereits 38 Jahre alt war. Mein Frauenarzt meinte dann aber, dass 3 Perioden auch ausreichen würden. Wir haben dann auch wieder losgelegt und ich war sofort wieder schwanger! In der 5. Woche wurde die Schwangerschaft festgestellt und in der 6. Woche hatte ich ein paar Tage lang Blutungen, na ja dachte ich, das war's wohl wieder. Als die Blutungen aufhörten bin ich wieder zum Arzt, aber von wegen, ich war sogar mit Zwillingen schwanger!! Mein Arzt meinte es wäre vielleicht sogar ein drittes Kind da gewesen, denn irgendetwas muss ja mit den Blutungen abgegangen sein. Nun ja, meine Freude über Zwillinge hielt sich in Grenzen, ich hatte früher immer gesagt "Wenn ich Zwillinge kriege, erschieß ich mich." Mit solchen Äußerungen sollte man vorsichtig sein.

Nun erschossen habe ich mich natürlich nicht, aber irgendwie habe ich immer gedacht (im Stillen auch gehofft) dass noch ein Kind abgehen würde. Das passiert wohl häufiger, wie ich mich schlau gemacht hatte. Bei mir aber nicht. Alles lief prima, außer dass mir dauernd schlecht war. In der 16. SW ließen wir dann eine Fruchtwasseruntersuchung machen (hatten wir bei unserer Tochter auch schon gemacht, so zur Sicherheit eben, man rechnet doch nie damit, das etwas sein könnte). Die Ultraschalluntersuchung in dieser Praxis war toll, eine riesige Leinwand, wie im Kino. Der Arzt fragte, ob wir wissen wollten was es wird? Ich war mir eh schon sicher, dass es beides Mädchen sind, hatte auch schon Namen: Lucy und Romy. Tja, und dann die Überraschung, beides Jungen!! Im Ultraschall sah alles gut aus und der Arzt sagte auch, das wäre schon die halbe Miete. Ja, aber nur die Halbe.

Nach ca. 2 Wochen wurden wir angerufen, weil bei einem Baby ein Markerchromosom entdeckt wurde (insgesamt wurden 16 Zellklone angelegt, in 7 Klonen, also in ca. 40 % fand sich das Markerchromosom, die anderen 9 Klone waren in Ordnung), dass aber vielleicht nicht schlimm sei, falls mein Mann oder ich auch ein Markerchromosom hätten. Also fuhren wir direkt am nächsten Morgen in die Praxis und ließen uns Blut abnehmen. Aber weder mein Mann noch ich hatten ein Markerchromosom. Dieses Markenchromosom sei sehr klein, es hätte höchstens die Größe eines p-Arms eines Y-Chromosoms. Man riet uns zu einer Nabelschnurpunktion um ganz sicher zu sein. Das Baby war aber sehr lebhaft und es dauerte sehr lange, bis der Arzt überhaupt zustechen konnte, und dann suchte er noch im Bauch herum, mir sackte der Kreislauf weg und wir mussten das Ganze abbrechen. Wir bekamen einen neuen Termin, ich nahm vorher Kreislauftropfen und trank Kaffee und diesmal klappte es auch bei Beiden. Das war dann schon in der 21. SW. Auf dem Ultraschall waren immer noch beide Babies unauffällig.

Das Ergebnis für den einen Zwilling lautete dann: "Das Markerchromosom besteht aus einer Zentromerregion, die repetetive DNA-Sequenzen enthält und wahrscheinlich aus euchromatischen Chromosomenmaterial der Banden p11.2. Somit muss bei dem Kind von einer partiellen Trisomie 11 des Bereiches p11.2 ausgegangen werden". Der offizielle Bericht ist drei DIN A4 Seiten lang. Die Humangenetikerin informierte mich vorab per Telefon und als ich fragte welche Auswirkungen diese Trisomie denn haben könnte, sagte sie mir, das es so einen Fall zwar noch nicht gegeben hätte, ich aber mit schwersten geistigen Behinderungen rechnen müsste. Ich fragte: Schlimmer als das Down-Syndrom? Und sie sagte: Viel schlimmer. Mir wurde furchtbar übel und ich musste mich erst einmal übergeben. Ein schwerstbehindertes Kind! Ein Kind, das vielleicht niemals krabbeln, geschweige denn laufen lernen würde. Ein Kind, das vielleicht niemals alleine essen würde, niemals reden oder lachen? Ich war verzweifelt und mein Mann nicht weniger. Wir gingen dann zusammen noch einmal zur Beratung und Untersuchung in die Praxis. Sie erklärte uns alles eingehend und war auch sehr mitfühlend. Sie suchte auch in anderen Datenbanken nach vergleichbaren Störungen, bei Kollegen in der Schweiz und in den USA. Ich selber suchte auch im Internet und fand so natürlich auch Leona e. V., hatte aber auch Kontakte in die Niederlande und nach England. Wir fanden nichts Vergleichbares. Das Baby blieb im Ultraschall weiterhin unauffällig und entwickelte sich genauso gut wie sein Bruder.

Trotzdem entschieden mein Mann und ich uns zu einem Schwangerschaftsabbruch des kranken Zwillings. Um das Risiko für den anderen Zwilling so klein wie möglich zu halten - es besteht bei einem solchen Eingriff große Gefahr für eine Frühgeburt - riet uns der Arzt aus der pränatalen Praxis zu einem Fetozid frühestens in der 30. SW. In so einem Fall würde der Tod des einen Zwillings über die Nabelschnur gespritzt. Das heißt, das tote Baby würde dann bis zur Geburt des anderen Zwillings im Bauch bleiben. Dieser Arzt machte uns einen Termin für die 28. SW in der Uniklinik Köln bei einem Experten für Ultraschalluntersuchungen. Ich hatte also wochenlang Zeit mir vorzustellen, wie man das Baby im Bauch totspritzen würde. Wie sich das Spritzen anfühlen würde, konnte ich mir ja wegen der Nabelschnurpunktionen sehr gut vorstellen, und dann noch der Gedanke, wochenlang mit einem toten Baby im Bauch herumzulaufen. Aber wir waren uns sicher, dass wir kein behindertes Kind wollten. Ich hatte so viele Berichte gelesen und soviel geweint, ich war mir sicher, dass ich so etwas nicht schaffen könnte, weil ja auch noch die sehr lebhafte Tochter da ist, und auch noch der andere Zwilling.

Dann waren wir in der Uniklinik Köln. Der Oberarzt führte eine gründliche Ultraschalluntersuchung durch und konnte ebenfalls keine Auffälligkeit finden. Er erklärte uns dann folgendes unmissverständlich: Ab der 24. SSW oder wenn das Baby schwerer als 500 Gramm (d. h. lebensfähig wäre) ist, muss eine Ethikkommission über einen evtl. Abbruch entscheiden. Diese Kommission, das wüsste er jetzt schon im Voraus, würde aus folgenden Gründen einem Fetozid niemals zustimmen.

  • Das Baby ist im Ultraschall unauffällig
  • Das Risiko für den anderen Zwilling ist viel zu groß
  • Keiner weiß was diese Trisomie wirklich zu bedeuten hat, da es so einen Fall noch nicht gegeben hat.
  • Und wenn das Baby dann wirklich behindert ist, konnten wir es ja zur Adoption freigeben.

Wir waren wie vor den Kopf geschlagen. Wochenlang überlegt, und dann wurde uns die Möglichkeit überhaupt nicht gegeben?! Der Kölner Oberarzt gab mir dann noch die Telefonnummer von Prof. Held in Hamburg. Ein bekannter Humangenetiker. Er faxte ihm die Unterlagen zu und Prof. Held und ich haben einen Abend lang miteinander telefoniert. Dieses Gespräch hat mir sehr gut getan und mir ein wenig Angst genommen. Der Prof. war sich nämlich keineswegs sicher, dass in diesem Fall wirklich eine Behinderung vorliegen wird. Er sagte, womöglich ist das nachher noch der Intelligentere von Beiden? Er würde sich vielmehr Sorgen um mich machen, aufgrund meines Alters und einer Zwillingschwangerschaft und ich sollte große Sorgfalt auf die Auswahl der richtigen Klinik legen. Trotzdem sind wir natürlich noch einmal zu dem Arzt in der pränatalen Praxis gefahren. Ob er das alles nicht gewusst hat?? Doch natürlich, aber er hätte nicht gedacht, dass der Kölner Arzt den Abbruch so rundheraus ablehnen würde. Nun wäre Köln aber sehr Pro-Baby eingestellt. Er besorgte uns noch einen Termin in Bonn. Die wären nicht ganz so Pro-Baby. In Bonn wurde ich von Prof. persönlich untersucht. Auch er konnte im Ultraschall nichts Auffälliges finden und würde in diesem Fall auch keinen Abbruch machen. Er deutete aber auch an, dass ich es im Ausland versuchen könnte, als er unsere Verzweiflung spürte.

Das kam aber für uns nicht in Frage. Also fügten wir uns in unser Schicksal und sagten uns, man wächst an seinen Aufgaben, wir werden es schon schaffen. Ich stellte mich früh im Klinikum Krefeld vor, da man bei Zwillingen ja immer mit einer Frühgeburt rechnen muss. Ab der 32. SW wurden wöchentlich große Ultraschalluntersuchungen gemacht. Beide entwickelten sich prächtig, aber für mich wurde es mit jedem Tag beschwerlicher. Allerdings nur die üblichen Schwangerschafts-Probleme wie Sodbrennen, Rückenschmerzen, ein riesengroßer Bauch usw. In der 35. SW waren beide Babies laut Ultraschall über 2.500 Gramm schwer und man fragte mich ob ich einen Termin haben wollte? Natürlich wollte ich! Meine Tochter war eine Steißlage, daher hatte ich schon eine Sectio gehabt. Deshalb riet man mir auch in diesem Fall wieder zu einer Sectio, obwohl die Jungs beide richtig lagen. Ich entschied mich wieder für eine Vollnarkose. Am 04.06.04 in der 36. SW wurden die Zwillinge geboren. Jared war 47 cm groß und 2.770 Gramm schwer, und Luis war 44 cm groß und 2.730 Gramm schwer.

Auch jetzt war nichts Auffälliges an Luis zu entdecken, aber natürlich wurden bei ihm aufgrund der pränatalen Diagnostik mehr Untersuchungen gemacht als bei Jared. Nämlich ein Ultraschall von Gehirn und Herz und ein EKG. Im Gehirn fand man dann eine Zyste, so etwas hätten aber viele Frühgeborene. Ich musste noch einige Male zur Nachkontrolle, bis sich die Fontanelle geschlossen hatte. Ob diese Zyste verschwinden würde oder nicht, konnte man uns nicht sagen und ob sie je etwas zu bedeuten hätte, auch nicht. Nun sind die Beiden schon 14 Monate alt. Luis entwickelt sich genauso gut wie sein Bruder. Von einer Behinderung keine Spur. Beide konnten mit 12 Monaten frei laufen, brabbeln den ganzen Tag vor sich hin und sind putzmunter. Würde ich noch einmal schwanger (was nicht möglich ist, ich wurde bei der Sectio auch sterilisiert), ich würde bei einem Baby, das im Ultraschall so unauffällig ist, niemals wieder eine Fruchtwasser-Untersuchung machen lassen. Wir hätten uns viele Tränen und schlaflose Nächte erspart.

Zuletzt aktualisiert: Sommer 2005