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Selina

interstitielle Deletion 2p
geb. Juli 2001

Zuletzt aktualisiert: September 2015

Da wir jeden Weg gehen, um eventuell doch noch andere Kinder mit der gleichen Chromosom-Deletion wie unsere Selina zu finden, möchte ich diese Möglichkeit nutzen, unser Schicksal mitzuteilen. Natürlich hoffen wir auch immer auf Hilfe, weil wir immer wieder an Grenzen stoßen und nicht weiter kommen.

Selina ist jetzt 3 Jahre alt und wir wissen erst seit einem halben Jahr, dass eine interstitielle Deletion am p-Arm des Chromosom 2 an ihren gravierenden Entwicklungsverzögerungen schuld ist. Der Weg bis zu dieser Diagnose war sehr lang und steinig.

Angefangen hat eigentlich alles mit einer massiven Verstopfung bereits im Säuglingsalter. Anfangs hatte ich das Gefühl, dass dies keiner ernst nimmt und erst mit 8 Monaten wurden wir ins Krankenhaus überwiesen, um durch eine Gewebeentnahme im Darm einen Grund für die Verstopfung zu finden. Bereits hier mussten wir feststellen, dass die Meinungen der Ärzte nicht unbedingt dieselben sein müssen. Denn nach der Biopsie wurde uns zu einer bzw. letztendlich zu insgesamt drei Operationen geraten, um Selina Erleichterung zu verschaffen.

Dank meiner Bedenken suchten wir zwei weitere Kliniken auf, und entschieden uns dann doch gegen diese Operationen, obwohl wir total verunsichert waren. Dass unbedingt etwas passieren musste, stand außer Frage, aber das schien nicht der richtige Weg. Zum Glück hat es sich auch bestätigt, dass die Verstopfung nicht operativ hätte beseitigt werden können. Als im Alter von einem Jahr Entwicklungsverzögerungen bei Selina festgestellt wurden, wurden wir in ein Sozialpädiatrisches Zentrum überwiesen. Dort stellte man eine Schilddrüsenunterfunktion fest.

Endlich war etwas gefunden worden und wir konnten etwas für Selina tun. Wir begannen auch sofort mit der Medikamenteneinstellung und machten 3 mal täglich Vojta-Therapie. Wir hatten so gehofft, dass es jetzt vorwärts gehen würde, Selina in ihrer Entwicklung endlich voran kommen würde. Leider mussten wir nach einem Jahr feststellen, dass der Entwicklungsrückstand noch größer geworden ist. Zwischenzeitlich kam noch hinzu, dass Selina einen schweren Krampfanfall hatte. Wir waren dann eine Woche im Krankenhaus und es wurde wirklich alles gecheckt (Blutbild, EEGEKG, MRT). Wieder hatten wir die Hoffnung, dass durch den Anfall und die folgenden Untersuchungen etwas gefunden wird; aber nein, wir hatten noch ein Problem dazubekommen: Verdacht auf Epilepsie.

Weiterhin wurde eine Hörschwäche auf einem Ohr festgestellt und weil Selina nach wie vor nicht auf die Beine wollte, stellte man fest, dass ihre Muskeln in den Waden nicht vollständig ausgebildet waren. Es folgten kontinuierlich Blutkontrolle und EEG’s; doch weiter kamen wir nicht.

Als dann die Vojta-Therapie für uns nicht mehr umzusetzen war, hatte ich das Gefühl, die Zeit rennt uns davon. Ich fühlte mich im SPZ nicht mehr gut aufgehoben und suchte mir einen neuen Kinderarzt. Das war auch dringend nötig, denn jetzt bewegte sich wieder etwas. Ich hatte wieder das Gefühl, mich nimmt jemand ernst und will uns helfen. Als erstes bekamen wir die Überweisung zur Genetik, weil der Arzt (wie ich ja auch) der Meinung war, hier stimmt noch etwas nicht.

Es folgte eine lange Zeit des Wartens, die wir aber mit einer neuen Therapie (nach Bobath) zumindest nicht nutzlos verstreichen ließen. Diese Therapie machen wir bis heute, verbunden mit Ergotherapie.

Als wir dann die Diagnose der Genetikerin in den Händen hatten, waren wir natürlich sehr betroffen, obwohl es ja bereits vorher augenscheinlich war, dass Selina "anders" ist. Trotzdem ist es dann sehr schwer zu verarbeiten, wenn man erfährt, dass man ein behindertes Kind hat.

Nach wie vor benutze ich den Ausdruck "behindert" sehr ungern, weil allein dieses Wort für viele abschreckend wirkt. Dass nicht nur das Wort abschreckend wirkt, hab ich auch in meinem Umfeld gemerkt. Auf einmal entfernen sich "gute" Freunde, weil man ganz einfach nicht mehr soviel Zeit hat und sich 24 Stunden um ein "besonderes" Kind kümmern muss. Manchmal waren es wirklich 24 Stunden, die ersten anderthalb Jahre gab es nicht eine einzige durchgeschlafene Nacht.

Wir haben sehr viel Zeit verschenkt, weil wir leider zu spät an den richtigen Arzt kamen. Jetzt haben wir endlich eine passende Therapie gefunden, aber es geht sehr langsam vorwärts. Mit dem Laufen klappt es immer noch nicht und das Problem der Verstopfung besteht nach wie vor. Außerdem hat sich nach dem dritten Krampfanfall der Verdacht auf Epilepsie bestätigt. Das heißt ein weiteres Medikament und weiterhin EEG-Kontrollen sind unsere Begleiter.

Trotz alledem ist Selina ein sehr freundliches und wunderhübsches kleines Mädchen, welches uns jeden Tag zeigt, wie gern es bei uns ist.

Wir sind sehr stolz auf dich, Selina!

Juni 2004


Nachtrag September 2015

Es ist viel Zeit vergangen!

Selina ist jetzt 14 Jahre alt und eine junge Dame geworden. Sie ist nach wie vor sehr offen und sehr neugierig, was es uns leicht macht, sie zu fördern.

Es gibt sogar ein Problem, welches wir, hoffentlich für immer, abgehakt haben. Selina hatte ja massive Verstopfung und lange Zeit konnte ihr nicht geholfen werden. Doch dann fanden wir einen Professor, der Selina operiert hat und seit dem haben wir keine Probleme mehr. Die Operation war nicht einfach, aber heute sind wir froh, dass wir das durchgezogen haben!

Mittlerweile ist Selina auch an beiden Hüften und Füßen operiert worden und kann jetzt an zwei Stützen laufen!

Die Epilepsie haben wir soweit in Griff, dass Selina im Moment einen Anfall im Jahr hat. Wir nehmen Levetirazetam und es gibt keine Nebenwirkungen.

Wir sind jetzt noch einmal umgezogen, weil ich die Schule wechseln wollte, um Selina noch mal neue Möglichkeiten zu geben. Ich erhoffe mir einen Entwicklungsschub durch die neuen Eindrücke und neue Therapiewege. Jetzt müssen wir uns hier erst einmal wieder eine Betreuung aufbauen, aber das kriegen wir hin. Selina ist so ein freundliches Mädchen, dass wir in Erfurt immer Mitarbeiter der Lebenshilfe gefunden haben, die sie gern betreut haben. Das wird in Jena sicher nicht anders sein!

Wir haben in der Zwischenzeit auch keinen Rollstuhl mehr!!! Für die Schule und lange Strecken haben wir jetzt einen Rollz Motion; eine Kombination aus Rollator und Rollstuhl. Nachteil dieser Version ist, dass Selina sich in den Rollstuhl setzen und geschoben werden, aber nicht selbst fahren kann. Dafür fährt sie mit ihrem Therapierad sehr gern und auch sehr weite Strecken!

Alles in allem entwickelt sich Selina gut und sie macht mich nach wie vor total stolz!

Zuletzt aktualisiert: September 2015