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Kieran

Triploidie
still geboren 30. SSW, 415 gr, 22 cm, März 2006

Pränataldiagnostik 15. SSW

Zuletzt aktualisiert: Mai 2006

Wir erwarten ein Kind!

Wir waren sehr froh, als wir wussten, dass wir wieder zu dritt sind, denn 2 Monate zuvor hatten wir ein Kind in der Frühschwangerschaft verloren. Es war sehr schlimm für mich, unser erstes Kind zu verlieren, weil ich nie daran gedacht habe und wir länger (ein gutes Jahr) darauf gewartet haben. Die erneute Schwangerschaft war für uns ein richtiges Geschenk.

Unser Kind ist im Urlaub in Schottland entstanden. Wir dachten, ein Name, der uns daran erinnert, wäre schön. Und ich war von Anfang an einfach davon überzeugt, dass es ein Junge war. Obwohl wir vorher schon immer andere Namen im Gespräch hatten, bekam unser kleiner den Namen Kieran.

Die ersten Schwierigkeiten

Obwohl die Schwierigkeiten bald anfingen, sind wir um jeden Tag froh, an dem unser zweites Kind bei uns war. In der 9. SSWsetzten Schmierblutungen ein. Ich hatte ziemliche Angst, schon wieder so kurz nach dem ersten ein Kind zu verlieren. Die Blutungen dauerten gut drei Wochen. Für mich war es manchmal kaum auszuhalten, bis zum nächsten Ultraschall zu warten, immer mit dem Satz im Kopf: "Es kann sein, dass sie ihr Kind verlieren." Jede Woche ein bis zweimal zu meiner Frauenärztin. Auch das Wachstum unseres Kleinen war nicht immer optimal. Und die Blutungen waren so ungleichmäßig, dass ich schon öfters die vergebliche Hoffnung hatte, sie würden bald aufhören. Manchmal weckte ich sogar meinen Mann, wenn ich nachts zur Toilette musste aus Angst, es könnte etwas sein.

Auch diese Anspannung, dass man in Gedanken schon fürs Kind planen möchte, aber eigentlich sich nicht traut, sich wirklich auf dein Kleinen einzulassen, weil immer offen stand, ihn bald zu verlieren.

So waren wir einfach nur erleichtert, dass nach gut drei Wochen die Blutungen so gut wie aufgehört hatten und das Wachstum einigermaßen im Rahmen war. Aber unsere Frauenärztin überwies uns zum Feinultraschall ins Klinikum, weil die Ursache der Blutungen nicht eindeutig und das Wachstum nicht optimal war. Auf der Überweisung stand "Missbildungssonographie", aber sie beruhigten uns, dass man einfach nur sicher stellen wollte, ob das Kind o.k. ist.

Missbildungssonographie

Unbesorgt fuhren mein Mann und ich in der 13. SSW zur Missbildungssonographie. Wir freuten uns darauf, unser Kind ausgiebig zu sehen. Der Arzt schallte unser Kind sehr lange, ungefähr 40 min und sagte dabei nicht viel. Ich traute mich nicht, viel zu fragen aus Angst, ihn in seiner Konzentration zu stören. Ab und zu viel ein Satz wie: "Das ist der Oberschenkel .... da sind zwei weiße Punkte im Herzen, sehen sie?" Woher sollte ich wissen, was es bedeutete, dass im Herzen zwei weiße Punkte sind?

Als ich mich wieder anzog, fing er schon an, uns die Ergebnisse zu erläuterten. Ich hatte noch nicht einmal meine Schuhe angezogen, hörte ich schon, dass bei unserem Kind viele Auffälligkeiten zusammenkommen, die jedes für sich auch bei einem normalen Kind vorkommen könnten, aber in dieser Häufung auf eine Chromosomenanomalie hindeuten. Als er mit seinen Erklärungen fort fuhr, musste mein Mann sich hinlegen, sonst wäre er umgekippt. "Nur eine Arterie in der Nabelschnur, zwei weiße Punkte im Herzen, ein Abstand im Gehirn zu groß, der Kopf im Gegensatz zum Rumpf viel zu groß..." - ich fühlte nur noch Nebel in meinem Kopf - "...Verdacht auf Trisomie 13, nicht lebensfähig ... bei dem Befund allerdings wird ihr Kind wahrscheinlich die nächsten 10 -14 Tage nicht überleben." Ich konnte nicht mehr denken. Wie sollte ich jetzt eine Entscheidung treffen, wie es weitergeht? Ich konnte seine Erläuterung zu Chorionzottenbiopsie und Fruchtwasseranalyse in dem Moment nicht verstehen, weil ich einfach wie unter Schock stand. Und mein Mann lag mit Kreislaufproblemen auf der Liege. Ich wollte nur noch heim. Nach ein paar Sätzen hin und her, meinte ich schließlich, ich wolle mir einen Termin zur Fruchtwasseruntersuchung geben lassen. Aufgrund der Schwangerschaftswoche konnte sie erst in ca. 2 Wochen gemacht werden. Wenn mein Kind bis dahin noch lebte...

Zu Hause angekommen, mussten wir uns einfach ablenken. Ich spielte die sinnlosesten PC - Spiele und mein Mann kramte eine Playmobileisenbahn heraus, die er im Wohnzimmer aufbaute. Wir verstanden die Welt nicht mehr, es passte einfach nicht zusammen: unser erstes Kind verloren, bald darauf wieder schwanger und eine riesige Freude, ein echtes Geschenk eben - und dieses Geschenk sollte uns wieder genommen werden?

Fruchtwasseranalyse

Ich versuchte übers Internet Informationen über die vermutete Diagnose Trisomie 13 zu finden. Auch wollte ich mehr über eine Fruchtwasseranalyse wissen. Ich lies mir einen Termin bei meiner Frauenärztin geben, um mit ihr nochmals über das Thema Fruchtwasseranalyse zu reden. Ich hatte zwar schon einen Termin für diese Untersuchung, war aber nicht sicher, ob ich ihn wahrnehmen wollte. Zum einen fürchtete ich das wenn auch geringe Risiko einer Fehlgeburt. Zum anderen wusste ich, dass bei einem Befund wie Trisomie 13 es nur die Möglichkeit gab, die Schwangerschaft zu beenden. Eine Therapie gibt es nicht. Ein Abbruch kam für uns eigentlich nicht in Frage. Will ich dann überhaupt wissen, was mit meinen Kind ist? Ist das Wissen oder Nichtwissen besser für mich?

Ich entschied mich für die Analyse. Meine Mutter wollte mich begleiten, weil mein Mann arbeiten musste. Auf dem Weg dahin ging das Auto kaputt und ich musste ein Taxi rufen und mich ins Klinikum fahren lassen. Meine Mutter wollte nachkommen. So etwas musste auch noch passieren. Ich hatte ohnehin schon genügend Aufregung. Der Eingriff war schnell vorbei. Ich musste mich noch für einige Zeit in den Kreissaal legen. Meine Mutter kam. Und als der Arzt nach mir schaute, fragte ich ihn, wie der Befund beim Ultraschall dieses Mal war. Er meinte: "Alles andere als eine Trisomie 13 würde mich schon sehr wundern." Er war in seiner Art ruhig, aber mitfühlend. In ein paar Tagen sollte ich das Ergebnis des Schnelltests bekommen.

Schon am nächsten Tag rief mich der Arzt vormittags an, als ich alleine zu Hause war: "Ihr Kind hat Triploidie, ein dreifacher Chromosomensatz, 69 anstatt 46 Chromosomen, nicht lebensfähig." Kurz darauf rief ich ihn zurück, denn ich wollte doch wissen, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist. "Das ist nicht so einfach zu sagen, denn auch die Geschlechtschromosomen sind dreifach vorhanden, XXY eher männlich als weiblich..." Ich rief mein Schwester an, dass sie kommen sollte und ich brach in Tränen bei ihr aus und heulte wie ein kleines Kind.

In ein paar Tagen hatten wir bei diesem Arzt wieder einen Termin zum Beratungsgespräch. Ich hatte große Angst davor, dass uns der Arzt Richtung Abbruch drängen würde und kein Verständnis aufbringen würde, wenn wir uns für das Kind entscheiden wollten. Allein schon solche Sätze wie "Der normale Weg wäre in einem solchen Fall, die Schwangerschaft zu beenden" wollte ich nicht hören. Für mich war es nicht einfach eine Schwangerschaft. Für uns beide war es unser Kind, das wir sehr liebten. Es war unser Kieran. Der Kleine hatte bereits seinen Namen.

Im Netz fand ich es sehr schwierig, mehr Information über Triploidie oder Erfahrungsberichte dazu zu finden. Das, was ich über Trisomie 13 wusste, fand ich schon ziemlich hart. Aber bei Triploidie schien alles noch ein wenig härter. Weniger als keine Chance.

Bei dem Beratungsgespräch war der Arzt sehr offen. Er erklärte uns nochmals den Befund. Ein Kind mit Triploidie hätte keine lange Lebenserwartung. Die meisten würden in der Frühschwangerschaft sterben. Falls sie lebend geboren würden, würden sie kurz darauf sterben. Es gäbe zwei Wege: der eine wäre einzugreifen und die Schwangerschaft zu beenden, der andere wäre abzuwarten und der Natur ihren Lauf zu lassen. Ich meinte zu ihm, wir hätten uns schon entschieden und wollten, dass das Kind so lange leben darf, wie es möchte. Ich vermutete damit nicht auf Verständnis zu treffen. Doch ganz ihm Gegenteil. Der Arzt schien irgendwie erleichtert. Für ihn als Mediziner wäre es so auch leichter. Wir besprachen noch, wie die Schwangerschaft medizinisch begleitet werden sollte, dass es gute wäre, jede Woche einen Ultraschall zu machen, um zu sehen, ob das Herz noch schlägt, denn es könnte ja jederzeit sterben und bei dem Befund wahrscheinlich eher früher als später. Er erzählte uns von dem Grab des Klinikums am Waldfriedhof für totgeborene Kinder, die nicht der Bestattungspflicht unterlägen. Für mich würde keine Gefahr bestehen, wenn ich das Kind austrage. Für uns waren diese zwei Punkte wichtig: das keine Gefahr für mich bestand und dass unser Kleiner nicht irgendwo landet, sondern einen Platz bekommt.

Jetzt wussten wir, was los war. Einerseits war es eine Erleichterung zu wissen, was unser Kind hat, andrerseits war es unwahrscheinlich hart. Ich hatte eine solche Angst, mich für diese Schwangerschaft zu entscheiden, in der ich immer damit rechnen musste, dass mein Kind stirbt. Aber ich hatte für mich beschlossen, dass ich das schaffen werde. Von jetzt an gingen wir jede Woche zum Ultraschall, um zu wissen, ob unser Kind noch lebt.

Weil ich unser Kind kaum spürte, auch später nicht, weil es viel zu klein war und wegen des wenigen Fruchtwassers kaum Platz hatte, sich zu bewegen, wusste ich nie, ob es noch lebt. Bis zum Schluss der Schwangerschaft war es für mich bei den Besuchen der Frauenärztin immer offen, ob sein Herz schlagen wird.

Der weitere Verlauf

In der 16. SSW hieß es, der Kleine würde vermutlich die 18. SSW nicht überstehen. Als diese Woche näher rückte, meinte der Arzt vermutlich die 20. SSW nicht.

Die 20. Woche, es war gerade Weihnachten: Es setzten wieder Blutungen ein. Weinend meinte ich zu meiner Mutter: "Ich weiß nicht, wie lange er noch leben wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es noch lange geht." Sie bot mir an, dass wir unseren Sohn bei ihnen im Familiengrab beerdigen könnten, wenn wir wollten. Es beruhigte mich, einen Platz für ihn zu haben, obwohl ich nicht wollte, dass er stirbt. Zwei Tage später bekam ich mitgeteilt, dass kaum mehr Fruchtwasser vorhanden ist und man wüsste auch nicht, wie lange ein Kind so leben könne. Zwei Tage darauf bin ich nachts mit Bauchschmerzen aufgewacht. Wir fuhren ins Krankenhaus. Das Herz von Kieran schlug. Gott sei dank! Aber der Chefarzt des Klinikums meinte wegen der Blutungen zu mir "Es kann sein, dass sie ihr Kind verlieren." Das alles in einer Woche und kurz nach Weihnachten.

Nächste Woche sind wir wie üblich zu meiner Frauenärztin. Mein Mann war bei jeder dieser wöchentlichen Kontrollen dann dabei, denn ich wollte nicht alleine sein, wenn es heißt: keine Herzaktivität mehr vorhanden. Ich hatte schon ein Auge für dieses Flimmern am Bildschirm, dem Herzschlag von Kieran. Und ich war jedes Mal, jede Woche so erleichtert, als ich ihn sah. Zu meiner Frauenärztin meinte ich wegen dieser erneuten Blutungen: "Wissen Sie, ich habe in dieser Schwangerschaft schon so oft gehört: Es kann sein dass sie ihr Kind verlieren."

So hart es auch ist, aber man gewöhnt sich mit der Zeit an die Situation. Und eine Woche auf das nächste o.k. zu warten ist auch viel leichter als zu Anfang. Und ich fand es oft einfach nur wunderschön, schwanger zu sein, Leben in sich zu haben oder in Gedanken mit seinem Kind zu reden. Ich liebte dieses Kind. Ich fand es wunderschön, ihn bei mir zu haben. Die Momente, in denen man auf der Couch liegt und mit den Händen sanft über den Bauch streichelt oder vor dem Spiegel steht und seinen Bauch betrachtet - diese Momente gab es auch in der Zeit mit Kieran.

Es gab aber auch solche Tage, wo ich zu nichts fähig war, wo ich es kaum schaffte, aufzustehen und mich anzuziehen. Ich bin so dankbar für meine Mutter, bei der ich immer anrufen konnte, ob ich zum Essen kommen konnte oder meinen Mann, der meinte, ich solle das tun, was mir gut tut. Er sagte kein Wort, wenn Kochen, Putzen, Aufräumen, Haushalt liegen blieben. Manchmal war ich einfach nur dafür dankbar, wenn jemand mit mir spazieren ging, um mich abzulenken.

Manchmal überlegte ich mir, was besser wäre: dass die Schwangerschaft schnell endet, damit meine Bindung nicht so stark ist, ich es noch nicht spüre und die Entbindung weniger wie eine "echte Geburt" wird und ich nicht dauernd in dieser Ungewissheit leben muss. Oder ob es einfach nicht schön wäre, seine Bewegungen zu spüren, ihn evtl. noch lebend zu sehen. Aber ich beschloss, dass es hier kein besser oder schlechter gibt. So wie es kommt, wird es gut für mich sein.

Was für mich allerdings auch hart war, waren die Gedanken, wenn ich an unseren Kieran dachte: Es stand kein Kinderzimmer vor meinen Augen, sondern seine Beerdigung. So schwer dies für mich als Mutter war, so hat es mich doch auf sein Ende vorbereitet. Je öfter die Gedanken an Beerdigung da waren, desto mehr verloren sie ihren Schrecken, desto weniger schlimm ist es. Man versöhnt sich fast mit diesen Gedanken, weil es die Realität sein wird, die irgendwann auf einen zukommt.

Was, wenn es zu einer Lebendgeburt kommt?

Die härtesten Momente waren für mich, als wir um die 25.SSW wieder zu Gesprächen ins Klinikum sollten, um zu klären, welche medizinischen Maßnahmen wir wollten, wenn es zu einer Lebendgeburt kommen sollte. Der Chefarzt der Kinderklinik und der Chefarzt der Frauenklinik wollten uns sehen. Die Ärzte waren verständnisvoll und nahmen sich Zeit. Sie erklärten uns, dass letztlich wir die Entscheidungen treffen, an denen sie sich orientieren. Es ginge darum, was wir für unser Kind wollen. Sie schlugen uns vor, dass unser Kind - falls es zu einer Lebendgeburt kommt - bei uns bleiben könne und nur mit Nahrung und Pflege versorgt wird. Sie würden nicht intubieren und auch keine Maximaltherapie vorschlagen. Wir waren erstaunt und dankbar für ihre Haltung. Es war auch unser Anliegen, unser Kind bei uns zu haben, es nicht unnötig zu behandeln und das Sterben damit nur kurzfristig hinauszuzögern.

Aber für mich war diese Entscheidung hart, "nichts machen" zu lassen. Allein schon diese Vorstellung, das es da liegt und man tut nichts, v.a. da es Probleme beim Atmen haben wird. Wird es krampfen, wenn es stirbt?

Oder wenn dir ein Arzt sagt, dass du dein Kind, wenn es lebend zur Welt kommt, es aber keinen vitalen Eindruck macht, in die Arme bekommst, dass es bei dir sterben kann, dann war das in dem Moment einfach zu viel für mich. Einfach zu hart.

Nach diesen Gesprächen, auch wenn sie gut und hilfreich waren, war ich einige Tage zu nichts zu gebrauchen.

Geburt?

Bis jetzt lebte ich Woche für Woche und war froh um jedes Mal, als ich sein Herz schlagen sah. Irgendwo ist es auch ein Wunder für uns, dass er sich so durchkämpfte trotz aller negativen medizinische Prognosen. Ich wollte mein Baby noch bei mir haben und mich auch für ihn durch diese Zeit durchkämpfen. Zwar konnte ich mir kaum vorstellen, dass ich bis zur 40. SSW kommen werde, aber mein inneres Ziel war irgendwo über die 25. SSW bis kurz vor die 30. SSW mit meinem Kind zu kommen.

Nach diesen Gesprächen stand die Entbindung bildlich wie vor mir und ich wusste nicht, ob ich mir eine Lebendgeburt, bei der das Kind kurz darauf stirbt, wirklich wünschen sollte. Es war das erste Mal, dass ich auch meine Entscheidung hinterfragte. Warum habe ich mir das angetan? Ich denke, dass es kein tiefer, echter Zweifel war, sondern nur der riesige Schmerz und meine Überforderung nach diesen Gesprächen.

Mir war noch einmal mit aller Härte klar geworden, was auf mich zukommen wird. Ob lebend oder tot, ich werde es zur Welt bringen. Weil ich keinen Geburtsvorbereitungskurs besuchte, aber auch nicht ohne jegliche Vorbereitung in die Geburt hineinstolpern wollte, organisierte das Krankenhaus für mich eine Hebamme, die mich die weitere Zeit durch die Schwangerschaft begleiten wollte.

Auch beschlossen wir, Sachen für den Sarg einzukaufen, weil ich wollte, dass unser Kieran wie ein Baby gekleidet ist und nicht in irgendein Tuch eingewickelt wird. Ich wollte auch, dass er weich auf einem Lammfell liegt. Außerdem kam mir die Idee, ihm eine Spieluhr zu kaufen, die wir ihm abends am Bauch vorspielen konnten und die wir ihm dann auf seinem Weg mitgeben können. Für meinen Mann, denke ich, war der Tag, an dem wir diese Sachen einkauften, einer der schwersten Momente in der Schwangerschaft.

Auch ging die Schere des normalen Wachstums und der Größe, die unser Kind hat, immer weiter auseinander. Zuerst lag er "nur" 2 Wochen zurück. Zuletzt war der Kopf 5 Wochen zurück und der Rumpf laut Brustdurchmesser 9 Wochen. Für mich war es wichtig, eine Vorstellung zu haben, wie groß er ist. Auch wegen unseres Einkaufs wussten wir, dass der Frühchenstrampler, den wir besorgt hatten, wahrscheinlich viel zu groß sein wird. Also kauften wir noch einen Pumpenstrampler.

Im nachhinein sehe ich, dass es gut war, die Sachen zu dem Zeitpunkt gekauft zu haben. Für mich gab es so einen innerlichen Übergang, wo ich merkte, es geht mir nicht mehr darum, um jede weitere Woche zu kämpfen, sondern darum, unseren Sohn Kieran bis zu seinem Ende zu begleiten, wann immer das auch sein wird.

Und ich merkte auch, was für einen langen inneren Weg ich während dieser Schwangerschaft gegangen war: Von der Angst, diese Schwangerschaft auszutragen bis hin dazu, dass ich mich ab und zu auf die Geburt freuen konnte, weil ich das, was da in meinem Bauch ist, einfach sehen, halten und lieb haben will - egal ob tot oder lebend.

Die 30. Woche

Als wir Ende der 29. SSW erfahren hatten, dass sein Herz schlägt, beschlossen wir, am Beginn der 30. SSW ein kleines Fest zu feiern. Mein Mann nannte es "Happy Pregnant Day". Mein Mann und ich feierten mit einem bunt verzierten Kuchen. Ich hatte für Kieran eine Kerze mit seinem Namen gemacht. Mein Mann gestaltete ein kleines Photoalbum mit ein paar Bilder aus Schottland, wo Kieran entstanden war und den Ultraschallbildern. Das waren unsere Geschenke. Wir unterhielten uns an diesem Tag noch lange über die Zeit mit ihm und was uns erwarten könnte. Es war ein Tag, an dem wir unseren Sohn einfach bewusst feierten, weil es sein 30ter war und wir nicht wussten, wie lange wir ihn noch hatten. 

Dann ging alles so schnell ...

Ein paar Tage darauf, in der Mitte der 30. SSW erfuhren wir dann, dass das Herz unseres Sohnes nicht mehr schlägt. Kieran war irgendwann in den Tagen vorher in meinem Bauch gestorben.

Irgendwie rechnet man Wochen und Monate damit und dann hört man, dass es jetzt soweit ist. Wir fuhren ins Krankenhaus. Eigentlich wollten wir heute zusammen mit der Hebamme, die uns besuchte, den Kreisssaal besichtigen. Aber jetzt waren wir hier, um uns den Tod unseres Sohnes bestätigen zu lassen. Wir fuhren dann noch heim, um unsere Sachen zu packen. Mein Mann wollte auch mit im Krankenhaus bleiben.

Die Geburt wurde mit einem Gel eingeleitet, aber es dauerte von Freitag bis Montag, bis die ersten Wehen einsetzen. Ich fand die Zeit, als ich Kieran tot in meinem Bauch hatte, nicht so schlimm, denn da hatte ich ihn ja noch bei mir. Wir ließen unseren Pfarrer ins Krankenhaus kommen, um mit ihm noch vor der Geburt über die Beerdigung zu sprechen. Ich dachte, dass es mir leichter fallen würde, noch bevor der Kleine da ist und mir der Tod vor Augen ist.

Zur eigentlichen Geburt ließ ich eine PDA machen. Weil unser Baby so klein war, musste ich zum Schluss nicht pressen, sondern sie drückten auf meinen Bauch und unser Kieran kam auf die Welt. Wir bekamen ihn, nachdem er etwas gesäubert war. Es war so still im Kreisssaal. Die Hebamme und der Arzt schwiegen. Und ich werde auch nicht das Gesicht meines Mannes vergessen, der unseren Sohn vor mir sehen konnte. Wir bekamen Kieran und wurden erst einmal allein gelassen. Es war keine Missbildung zu sehen, aber er war sehr klein und auch schon ziemlich weich, weil er doch schon einige Zeit tot war. Kieran wog 415gr und war 22cm groß. Die Hebamme zündete dann unsere Kerze an und machte uns liebevoll auf die wenigen, lockigen Haare aufmerksam, die mir gar nicht aufgefallen waren. Einige Zeit später kamen meine Eltern. Ich hatte sie am Abend zuvor informiert, dass Wehen eingesetzt haben. Sie wollten einfach nach mir sehen und kamen kurz nachdem Kieran auf der Welt war. Es war schön, dass sie mit im Kriesssaal waren. Ich war ruhiger, als ich dachte. Ich weinte zwar und für ein paar Momente kam ein riesiger innerer Schmerz hoch. Aber eigentlich wollte ich nur mein Kind ansehen, es halten und lieb haben.

Nach der Geburt musste noch eine Ausschabung gemacht werden und ich war froh, dass ich eine PDA hatte, so konnte sie gleich anschließend im Kreißsaal gemacht werden.

Ich wurde ins Zimmer gebracht, wusste aber, dass ich unseren Kleinen nochmals sehen konnte. Sie würden ihn uns aufs Zimmer bringen, wenn ich wollte.

Am späten Nachmittag kamen fast zum gleichen Zeitpunkt, ohne sich abgesprochen zu haben, meine Geschwister und die meines Mannes und meine Eltern. Der engste Familienkreis war in unserem Zimmer. Es war sehr schön, sie alle hier zu haben. Wir ließen Kieran nach einiger Zeit holen und alle konnten ihn anschauen und sich von ihm verabschieden. Mir war es wichtig, dass ihn nicht nur wir sehen konnten, sondern auch meine Familie. Ich wollte, dass er auch für andere real ist.

Er wurde uns in einem Weidenkörbchen gebracht. Allerdings konnte die Hebamme ihm den Puppenstrampler nicht anziehen, sondern nur darüber legen, weil Kieran schon zu weich war.

Wir ließen Kieran für ein paar Stunden bei mir im Bett liegen. Unsere Familie war schon gegangen. Ich wollte ihn nicht hergeben. Meinetwegen hätte er dort unendlich lange liegen können. Es war nicht so schlimm, wie ich gedacht hatte, ihn tot im Bauch zu haben, auf die Welt zu bringen und ihn anzusehen. Es war schlimm, ihn gehen zu lassen.

Am nächsten Morgen verließ ich das Krankenhaus, indem wir uns gut aufgehoben gefühlt haben.

Beerdigung

Zu Hause schrieben wir eine Rundmail an Freunde und Bekannte. Die Leute, die wir zur Beerdigung dabei haben wollten, riefen wir persönlich an. Wir planten die Beerdigung selbst. Ich gestaltete den Sarg farblich, schlug ihn mit dem Lammfell aus und legte Kissen, Deckchen sowie Spieluhr hinein. Vor der Beerdigung ließen wir nochmals den Sarg aufmachen. Ich wollte den Kleinen einfach noch sehen. Mein Mann trug den Sarg von Kieran von der Leichenhalle zum Grab und ließ den Sarg mit hinunter. Wir waren ungefähr 30 Personen, enge Verwandte, einige Freunde.

Ich war am Vormittag vor der Beerdigung relativ ruhig, aber ich hatte Ängste, wie ich die Beerdigung überstehen sollte. Ich hatte Beruhigungstropfen in meiner Tasche, die ich allerdings nicht nahm.

Nach der Trauerfeier trafen wir uns noch alle bei meiner Mutter zu Kaffee und Kuchen. Es war gut, mit Leuten, die uns lieb und wichtig sind, zusammen zu sein. Mein Mann hatte in das Photoalbum mit den Ultraschallbildern auch Bilder von unserer Feier in der 30. SSW und Bilder aus dem Krankenhaus von unserem Sohn geklebt. Wir gaben das Album und die Karte mit Hand- und Fußabdrücken aus dem Krankenhaus herum für die, die es sehen wollten.

Ich merkte, dass die Dinge ihren Schrecken verlieren, wenn sie erst einmal da sind. Dann ist es nicht mehr irgendetwas Nebulöses (Wie wird das sein, wenn ich mein totes Kind anschaue?), sondern dann ist es Realität und unser Leben eben. Irgendwie wird es dann einfach nur selbstverständlich, dass man den Sarg gestaltet etc.. Man möchte einfach für sein Kind das tun, was man noch tun kann, einen guten Abschied gestalten.

Auch habe ich gemerkt, dass man in der Situation oft anders ist, als man denkt und dass man mehr innere Kraft entwickelt, als man von sich vielleicht glaubte. Einige sagten zu uns: "Wir bewundern euch, wie ihr das macht." Nicht selten sagte ich dann: "Du kannst nicht sagen, wie du in der Situation wärst. Du wirst mehr Kraft haben, als du denkst."

Der Blick zurück

Wenn ich jetzt auf unsere Zeit mit Kieran schaue, dann ist da ein Schmerz, etwas Wertvolles verloren zu haben, aber auch ganz viel Liebe zu meinem Kind.

Was mir nach der Beerdigung half, war das Gefühl, mit mir im Reinen zu sein. Einfach das Gefühl, es richtig gemacht zu haben. Ich bin mit meinem Sohn seinen Weg bis zu Ende gegangen. Für uns war es der richtige Weg.

Auch der Zeitpunkt des Abschiedes war irgendwie "gut" - wenn es so etwas geben kann. Unser Sohn Kieran durfte länger leben als wir und die Ärzte vermuten und hoffen konnten. Die Feier, die wir für ihn gestalteten, ein paar Tage bevor wir erfuhren, dass er nicht mehr lebt, ist eine schöne Erinnerung. Uns halfen die guten Erfahrungen im Krankenhaus und verständnisvolle Ärzte. Der Arzt, der die Missbildungssonographie und die Fruchtwasseranalyse machte, kam mich besuchen, als ich zur Entbindung im Krankenhaus war, um nach mir zu sehen und sich zu unterhalten, obwohl ein anderer Arzt in dieser Zeit für uns zuständig war. Er meinte: "Ich denke, sie haben das richtig gemacht." Meine Frauenärztin fragte bei der Nachuntersuchung nach dem Namen unseres Kindes, erkundigte sich nach der Beerdigung und fragte nach einem Foto von unserem Baby. Ich fand das sehr lieb von ihr.

Ich weiß, dass ich diese ganze Zeit mit Kieran brauchte, damit meine Seele bereit dazu war, ihn gehen zu lassen. Die Schwangerschaft war anstrengend, da es kaum eine Zeit gab, in der ich unbeschwert schwanger sein konnte, weil die Schwierigkeiten und Ängste, das Kind zu verlieren schon in der 9. SSW anfingen. Der Weg kostete mich Durchhaltevermögen, Kraft und Mut. Aber als ich meinen Sohn im Krankenhaus bei uns im Zimmer hatte, sagte ich zu unseren Verwandten: "Ich würde es wieder so machen."

Im Moment fehlt er mir einfach sehr. Die Tage sind sehr unterschiedlich. Ich gehe öfters an sein Grab, ein Licht anzuzünden. Mein Geburtstag war nicht leicht. Vor dem errechneten Geburtstermin, der noch vor mir liegt, fürchte ich mich auch. Und der Umgang mit einigen Freunden, die sich schwer damit tun, ist nicht einfach. Was mir hilft, ist darüber zu reden.

Zuletzt aktualisiert: Mai 2006