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Zeno

Trisomie 18
Schwangerschaftsabbruch 13. SSW, November 2002

Zuletzt aktualisiert: November 2008

Zwei Jahre nach der Geburt unserer ersten Tochter haben wir "beschlossen", wieder ein Kind zu bekommen. Wir hatten wahnsinniges Glück, weil es sofort funktioniert hat und ich gleich schwanger wurde. Wir haben uns wirklich gefreut und ganz besonders, als das kleine Herz am Ultraschall zu sehen war. Was komisch war, ich hab es gesehen und mein erster Gedanke war "Emelys Herz hat stärker geschlagen". Ich habe den Gedanken gleich wieder verworfen und auch niemandem erzählt. Unser Arzt wollte dann wissen, welche Untersuchungen wir machen wollen und obwohl ich eigentlich kein Freund der Pränataldiagnostik bin und bei Emely auch keine Untersuchung machen ließ, wollte ich die Nackenfaltenmessung machen lassen. Keine Ahnung warum, heute glaube ich, dass ich es eben doch schon damals gespürt habe. Wir haben also einen Termin für den 21.11.2002 ausgemacht und sind nach Hause.

Mir ging es in dieser Schwangerschaft besser als in der ersten und deshalb habe ich meine Sorge auch sehr schnell wieder vergessen.

Am 21. November sind wir dann wieder zu meinem Arzt und haben Emely mitgenommen, damit sie auch einmal sehen konnte, was da in meinem Bauch ist. Sie war gänzlich unbeeindruckt und wollte eigentlich nur Lego spielen. Als der Arzt dann die Nackenfaltenmessung machte, war mir sehr schnell klar, dass da was nicht stimmt. Er wurde ganz still und hat lange gebraucht und als ich ihn dann gefragt habe, was so lange dauert, hat er nur ganz ernst gemeint, ich soll warten. Dann hat er mir gesagt, dass die Nackenfalte sehr auffällig ist und außerdem das Baby einen Nabelbruch hat. Er hat uns kurz erklärt, was das zu bedeuten hat. Sein Tipp war recht sicher Trisomie 18 oder 13. Ich bin auf der Stelle total in Tränen ausgebrochen und habe dann nur mehr Spezialklinik blablabla... gehört. Mein Mann hat mich dann in ein Taxi gepackt und wir sind alle zusammen in diese Klinik gefahren, wo schon eine Ärztin gewartet hat, die mit meinem nervlichen Zustand recht überfordert war, aber medizinisch kompetent. Dort ging dann alles recht schnell und wir haben nur erfahren, dass es zu 85% eine Trisomie 18 sein wird und was das bedeutet. Um genaueres herauszufinden, müssten wir eine Chorionbiopsie machen. Ich war wie gelähmt, neben mir am Boden saß mein kerngesundes, wahnsinnig süßes erstes Kind und ich soll da ein lebensunfähiges Baby in mir haben. Ich hab mir nur gedacht, die spinnen ja alle.

Wir haben dann gleich die Biopsie machen lassen. Ich kann mich nur mehr ganz dunkel erinnern, dass Philipp mit Emely hinausgegangen ist und die Ärztin mir die Hand gegeben hat und ich wahnsinnig geweint habe und irgendwann geschrieen habe, weil es so weh getan hat.

Danach musste ich zur Beobachtung auf die Geburtenstation und sollte dort einige Stunden bleiben. Da bin ich dann nur mehr völlig verzweifelt herumgestanden. Ich habe sowieso schon nicht verstanden, was da passiert und dann sind die alle noch so unsensibel und bringen mich, die 30 Minuten zuvor erfahren hat, dass unser Baby zu 90% nicht leben wird, auf die Geburtenstation. Überall standen so hübsche weiße Körbe mit neugeborenen Babys und ich hab richtig Angst bekommen, dass eine Mutter so nah an mir vorbeigeht und ich in den Korb schauen muss und es nicht ertrage. Ich hab gedacht, es zerreißt mich oder ich werde ohnmächtig oder beides. Ich wollte so gerne weg, aber ich hatte nicht die Kraft zu sagen, dass ich woanders warten will, ich konnte ja gar nicht mehr sprechen. Ich hab nur geweint. Aber Wunder geschehen und plötzlich steht die Hebamme, die mich die letzten Wochen vor Emelys Geburt betreut hatte, vor mir. Sie hatte das Spital gewechselt, aber das wusste ich nicht. Sie war so rührend und hat mir dann ein Zimmer alleine besorgt und ist bei mir geblieben und hat mich getröstet. Es hat mich irgendwie getröstet, dass sie da war, ich wollte Zeno mit ihr bekommen. Ich wollte nur noch abwarten, bis die 12te Woche vorbei war, bevor ich mich mit ihr in Verbindung setze.

Später sind wir nach Hause gefahren und mussten übers Wochenende auf das Ergebnis warten.

Die Zeit war ein Wahnsinn. Wir haben auf der einen Seite gehofft, dass unser Baby übers Wochenende sterben wird, damit wir nicht über den Zeitpunkt seines Todes entscheiden müssen. Im nächsten Moment habe ich mich gehasst, weil ich unserem Kind den Tod wünsche. Dann haben wir uns entschlossen, dass wir ein Kind mit Trisomie 21 bekommen würden. Dann habe ich mir wieder gedacht, hoffentlich hat es 13 oder 18, dann geht dieser Kelch an mir vorbei, weil ich natürlich Angst davor hatte, ein behindertes Kind zu bekommen.

Und wieder habe ich mir gedacht, ich bin ein Unmensch, weil ich so über unser Baby denke. Wir haben mit Ärzten gesprochen, wie die Wahrscheinlichkeit steht, dass das Baby bald stirbt, weil unsere Angst natürlich war, dass ich 28 Wochen mit einem Baby, das ohnedies sterben wird, schwanger bin. Dazu haben wir uns damals außer Stande gefühlt. Ich wollte eigentlich wissen, was mit dem Baby nach der Abtreibung passiert, aber ich konnte nicht fragen, weil ich nicht ertragen hätte, dass es vielleicht einfach weggeschmissen wird.

Wir waren völlig verzweifelt auf der Suche nach irgendjemandem, der uns sagt, wie diese Geschichte ausgehen wird und was wir machen sollen. Viele Menschen haben uns Hilfe angeboten, aber helfen konnten wir uns nur selbst und dazu fehlte zumindest mir die Kraft. Am Sonntagabend haben wir dann beschlossen, dass wir bei Trisomie 13 und 18 abbrechen würden.

Am Montag zu Mittag hat Philipp dann in der Klinik angerufen und wir haben erfahren, dass es Trisomie 18 ist. Von da an haben wir beide total zu gemacht und haben wie zwei Roboter funktioniert. Den Termin für den Abbruch hatten wir am selben Tag um 19.00 Uhr. Wir haben Emely zu meiner Mutter gebracht, waren noch einmal in der Spezialklinik, haben unsere Sachen für das Spital geholt und sind noch einmal ganz alleine auf einen Hügel außerhalb der Stadt gefahren, um noch einmal darüber nachzudenken. Das Eigenartige war, dass wir keine Träne mehr vergossen haben, wir waren wie abgeschaltet. Ich bin mir so herzlos vorgekommen.

Wir mussten dann um 18.00 Uhr bei meinem Arzt im Spital sein und um 20.00 Uhr war der Termin für den Abbruch. Mein Mann hat veranlasst, daß ich nicht auf die Geburtenstation komme und er war mit mir im Spital und ist auch die ganze Zeit bei mir geblieben, außer im OP. Am Weg hinunter in den OP habe ich mir immer gedacht, ich trenne mich jetzt von unserem Baby, daß muss ich doch spüren, das muss doch weh tun. Aber es war nichts zu spüren außer Angst. Zu dem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass es ein Bub war, weil wir nicht einmal den Mut oder die Kraft hatten zu fragen. Ich habe dem Baby dann noch in Gedanken gesagt, dass ich es nie vergessen werde, dass es immer mein zweites Kind sein wird und dass ich hoffe, dass es mich versteht und auch wenn ich es nie in meinen Armen halten werde, dass ich es liebe.

Der Zustand dieses unerträglichen "Nicht-Fühlens" hat noch ca. zwei Wochen angehalten und erst nach zwei Wochen konnte ich anfangen, diesen Schmerz zu ertragen und mich auf die Trauer einlassen. Die ersten drei Monate waren furchtbar schwer und ich habe gedacht, es wird nie wieder gut, aber das stimmt nicht. Wir haben durch Zeno viel gelernt und heute weiß ich, dass seine Aufgabe nicht die war, mit uns zu leben. Wir sind ihm sehr dankbar, dass er gekommen ist.

Heute, mehr als zwei Jahre danach, ist die Wunde, die damals entstanden ist, verheilt und ich bin niemandem mehr böse, dass Zeno Trisomie 18 hatte. Am Anfang war ich Gott und der Welt böse. Ich war so grauenhaft wütend auf alles und jeden, auch auf mich. Jetzt möchte ich diese Erfahrung nicht mehr hergeben. Diese Erfahrung hat mich verändert, sie hat meine Einstellung zum Leben verändert und sie hat mich demütiger gemacht. Demütiger dem Leben gegenüber. Kinder "beschließt" man eben nicht zu bekommen.

Eine Sache, die mir lange zu schaffen gemacht hat, war der Abschied. Jeder hat uns gesagt, dass wir Zeno gehen lassen müssen und uns von ihm verabschieden müssen. Ich habe mir immer nur gedacht, das ist schon richtig - aber wovon soll ich mich denn verabschieden, wenn ich nicht einmal weiß, wie er ausschaut. Es hat lange gedauert bis ich verstanden habe, dass es nicht um den Körper geht, sondern um die Seele. Ich habe lange bereut, den Abbruch gemacht zu haben, weil ich ihn dadurch nie sehen, halten oder riechen konnte. Ich habe lange gedacht, hätte ich ihn kennen gelernt, dann würde mir der Trauerprozess nicht so schwer fallen. Ich war neidisch auf die Mütter, die ihre Kinder tot geboren hatten, ohne vorher zu wissen, wie krank ihre Kinder waren.

Heute glaube ich, wie auch immer man sich entscheidet, man muss sich in jedem Fall mit dem Tod des eigenen Kindes auseinandersetzen. Gestorben wäre Zeno in jedem Fall. Wir haben nur den Zeitpunkt entschieden.

Wir haben diese Entscheidung mit der Kraft getroffen, die wir damals zur Verfügung hatten.

Am 8. November 2003 habe ich eine wahnsinnig süße und kerngesunde Selma geboren.

Corinna und Philipp, im Juni 2005

Nachtrag 25. November 2008

Gestern war es 6 Jahre her dass wir den Abbruch gemacht haben und da war ich wieder einmal auf der Leona Seite und hab den Bericht wieder einmal gelesen. Ich bin immer wieder froh dass es diese Seite gibt.

Auf jeden Fall haben wir im Juli wieder ein Baby bekommen. Einen Fridolin, der mit 4430 g und 57cm auf die Welt gekommen ist

Alles Liebe, Corinna

Zuletzt aktualisiert: November 2008