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Mara

Trisomie 13
geb. Oktober 2005, gest. Dezember 2005

Pränataldiagnostik 21. SSW

Zuletzt aktualisiert: Januar 2008

Mit 25 Jahren wurde ich zum zweiten Mal schwanger. Es war ein Wunschkind. Laila, unsere erste Tochter, sollte ein Geschwisterchen bekommen. Wir freuten uns sehr auf unser nächstes Kind, machten Pläne und malten uns unsere Zukunft aus. In der 21. Schwangerschaftswoche (SSW) wurde ich von meiner Frauenärztin zur Feindiagnostik geschickt. Reine Routine, wie sie sagte. Ich freute mich auf diesen Termin: auf ein paar schöne Bilder von unserem Baby und auf die Nachricht nach dem Geschlecht unseres zweiten Kindes. Nur kurz bevor wir das Haus, in dem die Praxis liegt, betraten, meinte ich zu meinem Freund, dass wir jetzt auch Dinge erfahren könnten, die wir lieber nicht erfahren wollten. Aber wirklich glauben tat ich daran nicht. Alles war bisher so unbeschwert gewesen.

Der Besuch selbst erscheint mir noch heute wie im Nebel. Nach langer ruhiger und – wie ich fand – sehr akribischer Untersuchung sämtlicher Organe, speziell Herz und Gehirn, bat uns der untersuchende Arzt an einen kleinen Tisch im Raum. Er müsse uns ein paar Dinge sagen. Bisher war kein Wort über seine Lippen gekommen, außer der sehr knappen Antwort auf meine Frage nach dem Geschlecht unseres Kindes. Wieder ein Mädchen. Aber ich war nun stutzig geworden. Er hatte so getan, als ob diese Frage das Nebensächlichste der Welt wäre, als ob das Geschlecht unseres Kindes überhaupt keine Rolle spiele. Später konnte ich dann nachvollziehen, warum er so dachte. Meine Frage war so banal gewesen im Vergleich zu dem, was er gerade entdeckt hatte.

Nach und nach zählte er uns folgende Dinge auf:

  • linke und rechte Herzkammer miteinander verbunden
  • nur ein Gefäß, das vom Herzen weggeht (sauerstoffarmes und –reiches Blut vermischen sich)
  • das Gefäß, das die Lunge mit Sauerstoff versorgen müsste, ist verschlossen
  • ein anderes kleineres Gefäß geht davon ab und ist an der gegenüberliegenden Seite mit der Lunge verbunden (Dieses Gefäß wird nach maximal fünf Tagen nach der Geburt hormonell verschlossen, da ihm im Normalfall keine besondere Bedeutung zukommt). Das bedeutet: eine Sauerstoffanreicherung in der Lunge kann nicht stattfinden, unsere Tochter kann nicht atmen.
  • Das Kleinhirn ist kaum vorhanden, wo Gehirnmasse zu sehen sein müsste, ist nur Flüssigkeit
  • die Oberlippe ist doppelt gespalten, Lippen-Kiefer-Gaumenspalte
  • die linke Hand hat ein sechstes Fingeranhängsel
  • die Augen sind klein

Verdacht auf Trisomie 13. Wir saßen da und hörten ihm zu. Mir wurde sehr warm, und gleichzeitig verschwamm der Raum vor mir. Die Worte des Arztes drangen nur noch wie durch eine unsichtbare Wand zu mir durch. Ich konnte nicht glauben, dass er da von unserem, von meinem Kind sprach. Es erschien mir alles nicht real. Die ganze Situation kam mir seltsam unwirklich vor. Irgendwann im Laufe des Gespräches fassten wir uns an den Händen – Christian (mein Freund) und ich –, das weiß ich noch. Allmählich drang also schon die Tragweite dieser Diagnose zu uns vor.

Im Anschluss an das Gespräch ging der Arzt noch einmal mit dem Schallkopf über meinen so unschuldig dicken Bauch und zeigte uns, was er im Einzelnen gesehen hatte. Und nun rannen bei mir die ersten Tränen, Vorboten einer langen und intensiven Trauer, die nie ganz vergehen wird.

Im Anschluss an die Untersuchung wurde bei mir Fruchtwasser und Nabelschnurblut von unserer Mara entnommen. Das Blut sollte auf eine Chromosomenanomalie hin untersucht werden. Nicht ganz zufrieden bin ich im Nachhinein mit der Information zu dieser Amniozentese. Die Risiken waren mir zu diesem Zeitpunkt nicht vollständig bewusst. Mara hätte aufgrund der Punktion auch abgehen können.

Bis zu diesem Tag war ich mir nicht ganz klar gewesen, wie unser zweites Kind eigentlich heißen soll. Noch im Untersuchungszimmer stand ihr Name aber fest: Mara, hebräisch für bitter. Das passte so haargenau auf unser Kind.

Wie soll ich nun die darauf folgende Woche beschreiben? Wir hatten den Boden unter den Füßen verloren. Unsere Zukunft sah mit einem Mal trostlos und ungeheuer dunkel aus. Ich möchte nicht von dem Hin und Her erzählen was Maras Zukunft anbelangte. Nur von der letztendlichen Entscheidung, dass Mara selbst bestimmen sollte, wann sie uns verlässt. Wir wollten ihr nicht schaden – wir wollten auch uns nicht schaden, machten uns viele Gedanken, wie Laila wohl mit der ganzen Situation umgehen würde. Noch heute bin ich oft überrascht, wie sehr sie an allem teilnimmt, und wie oft sie von ihrer kleinen Schwester redet.

Wir suchten viel über Trisomie 13 herauszufinden, und gelangten so recht schnell auf die Seite trisomie13.de und das Forum, das uns noch heute so ehrlich und haltgebend unterstützt.

Vier Tage nach der Feindiagnostik hatten wir wieder einen Termin in der Praxis. Die Diagnose des Arztes hatte sich bestätigt, Trisomie 13. Am gleichen Nachmittag trafen wir uns mit einer Psychologin und redeten lange und intensiv mit ihr. Noch heute gehen wir ab und zu zu ihr und reden und weinen bei ihr.

Im Laufe meiner Schwangerschaft waren wir noch weitere zwei Male bei dem Feindiagnostiker zur Untersuchung. Bei jedem Termin wurde die Diagnose schlechter für Mara. Ihr stand immer weniger Zeit zur Verfügung. Entweder sollte sie noch in meinem Bauch versterben oder bei der Geburt, spätestens aber ein paar Stunden danach. So seine Diagnose.

Die Reaktionen auf die Schwerstbehinderung von Mara fielen an sich recht ähnlich aus. Unsere Eltern hatten da zunächst keine andere Meinung als die behandelnden Ärzte. Die Schwangerschaft sollte am besten abgebrochen werden, um uns und dem Kind unnötiges Leid zu ersparen.

Woran dabei nicht gedacht wird: Hört mein Leid direkt nach dem Abbruch auf? Wiegt es für mich nicht wesentlich schwerer, wenn ich den Todeszeitpunkt meines Kindes bestimme? Wie gehe ich mit dieser „Schuld” um? Und: Wer sagt, dass mein Kind leidet? Ohne ein anderes Leben zu kennen, ohne das Wissen, worauf man verzichten muss, gibt es da ein Leiden? Natürlich kann mein Kind mehr Schmerzen haben als andere, gesunde Kinder. Aber wie will ich den Grad messen, wie viel mein Kind darunter leidet. Und ab wann ist sein Leben deshalb nicht mehr lebenswert? Kann ich solch eine Entscheidung treffen? - Mara war für meine Begriffe ein zufriedenes Kind. Ich habe sie lächeln und friedlich schlafen sehen. Sie hat sich, denke ich, wohl bei uns gefühlt. Für die Ärzte allerdings war sie nicht lebensfähig – was immer das auch heißen mag, denn gelebt hat sie ja.

Nach unserer Entscheidung für unser Kind trafen wir auf viel Unterstützung. Nicht nur im Freundeskreis und vor Allem im T13-Forum auf der Seite trisomie13.de, sondern auch von unseren Eltern, Verwandten und auch Ärzten.

Ich begann mich damit zu arrangieren, dass jede Stunde, jede Minute die letzte mit meiner kleinen Tochter sein könnte. Ich versuchte, mich darauf einzustellen, dass sie jeden Moment sterben könne. Aber wirklich geschafft habe ich es bis zu ihrem Tod nicht.

Die weiteren 18 Wochen Schwangerschaft waren für mich sehr durchwachsen. Ich freute mich über Maras Tritte in meinen Bauch und über den Ultraschall bei meiner Frauenärztin, weil sie in diesen Momenten so unglaublich lebendig war. Die Gespräche mit anderen begann ich zu fürchten. So banale Fragen wie: Wie geht es Dir? Alles in Ordnung? wurden mein persönlicher Schrecken. Was sollte ich darauf antworten? Zu Anfang erzählte ich von Maras Krankheit und dass sie sehr früh sterben würde. Natürlich war mein Gegenüber jedes Mal schockiert. Für mich tat es unbeschreiblich weh, immer von Neuem von Mara zu erzählen, vor Allem Menschen, die ich nicht wirklich kenne, die mich einfach nur so nach meinem Befinden fragten – nicht aus Interesse, sondern, weil man das so macht. Also verlegte ich mich nur auf das Wörtchen „gut”, und es kamen keine weiteren Fragen. Es musste nicht jeder wissen, dass ich von diesem Wörtchen „gut” so weit entfernt war wie die Erde von der Sonne. Noch heute widerstrebt es mir im tiefsten Inneren auf die Frage, wie es mir gehe, „gut” zu antworten. Denn wirklich gut geht es mir nicht.

Als ganz besonders schlimm empfand ich die Schwangerschaften meiner Freundinnen, die ihre Kinder entweder kurz vor Maras Geburt zur Welt brachten oder in der Mehrheit danach. Es wurde so schlimm, dass die Besuche bei ihnen immer seltener wurden, bis sie letztendlich ganz zum Erliegen kamen. Und so ist es noch heute. Es fällt mir unglaublich schwer – immer noch –, Müttern mit kleinen Kindern, gerade wenn es sich um Geschwisterkinder handelt, oder Schwangeren zu begegnen. Kleine Babies kann ich noch immer nicht recht angucken, ohne von einer immensen Trauer überspült zu werden.

Wir trafen alle möglichen und unmöglichen Vorbereitungen für Maras Ankunft. Wir machten uns Gedanken, die man niemandem in der Schwangerschaft wünscht: Kommt Mara auf natürlichem Weg zur Welt, wenn sie noch im Bauch verstirbt? Wie werden wir sie beerdigen? Wie wird Mara nach der Geburt im Krankenhaus behandelt, bzw. nicht behandelt? Wir führten Gespräche mit der Oberärztin der Gynäkologie und der Oberkinderärztin im Krankenhaus. Wir erzählten, wie wir uns die Geburt und die Zeit danach vorstellten, und trafen dabei erfreulicherweise auf offene Ohren. Wir redeten mit den Ärzten über eine Totgeburt und darüber, wie mit dem Kind dann verfahren wird, und wir redeten über eine normale Geburt und die ausbleibenden lebenserhaltenden Maßnahmen auf Wunsch der Eltern. Es konnte ja alles sein. Am wahrscheinlichsten aber der frühe Tod nach der Geburt, bzw. noch davor.

Durch das T13-Forum wurde ich erst auf die Möglichkeit einer Geburt im Geburtshaus gebracht. Das Geburtshaus hatte ich mir eigentlich als Entbindungsort vorgestellt, da ich nach Lailas Geburt vom Krankenhaus nicht mehr so überzeugt war. An eine solche Möglichkeit hatte ich dann aber nicht mehr gedacht, weil für mich der äußerst kritische Zustand meiner Tochter nur im Krankenhaus richtig aufgehoben schien.

Ich telefonierte mit einer Hebamme und schilderte ihr, an welcher Stelle wir uns gerade befanden. Überraschenderweise lehnte sie eine Begleitung der Geburt nicht ab, sondern brachte sogar noch die Möglichkeit einer Hausgeburt zur Sprache. Wenn wir ohnehin nicht vorhätten, lebenserhaltende Maßnahmen durchzuführen oder durchführen zulassen, wäre nicht zu Hause der beste Ort von allen, an dem Mara das Licht der Welt erblicken sollte (Wir redeten über die Ruhe nach der Geburt mit dem sterbenden Kind und über einen Totentransport, der nur durch autorisierte Fahrzeuge vonstatten gehen dürfe.)?

Letztendlich ist es genau so gekommen. Mara hat bis zur Geburt am Leben gehangen und schnitt bei den APGAR-Werten direkt nach der Geburt sogar besser ab als ihre große Schwester. Sie wurde von Christian, Laila und Marina, der Hebamme, gebadet und lag an meiner Seite. Alles ganz still und friedlich.

Meine Gefühle kann ich nur schwer beschreiben. Zuerst einmal war ich total fertig und müde nach der Geburt. Das Hochgefühl wie kurz nach Lailas Geburt fehlte diesmal völlig. Die Presswehen hatten länger gedauert als sie hätten dauern müssen. Ich hatte, glaube ich, einfach Angst, mein Kind loszulassen. Denn die Trennung von der Nabelschnur bedeutete für Mara den Anfang vom Ende.

Und die Zeit danach? Mara lebte und sah so unglaublich süß aus. Ja, auch davor hatten wir Angst – vor ihrem Aussehen. Die Hände und Füße vom Papa, wie Laila auch, und dunkle, recht lange Haare. Das Gesicht war von Käseschmiere total verklebt, ihre Augen geschlossen, der Mund permanent offen. Mara war einfach liebenswert, unser kleines Baby.

Maras Lippen-Kiefer-Gaumenspalte stellte uns vor das erste Problem. Sie konnte nicht von der Brust trinken. Lebenserhaltende Maßnahmen hin oder her, verhungern konnten wir unser Kind nicht lassen. Also pumpte ich die erste Vormilch ab und spritzte sie ihr mit Hilfe einer kleinen vorne offenen Spritze in den Mund. Und sie schluckte. Sie schluckte sogar problemlos. Wir waren überglücklich.

Marina brachte am nächsten Tag eine größere Spritze und am übernächsten einen Haberman-Sauger mit, bei dem man nur auf den Sauger zu drücken brauchte, um die Milch vorne herauszudrücken. Mara trank von Tag zu Tag mehr. Wir führten Buch darüber, wann und wie viel sie trank. Trotz der vielen Luft, die durch das In-den-Mund-drücken der Milch entstand, hatte sie nie Probleme mit Bauchgrummeln oder Blähungen. Sie war überhaupt ein sehr stilles, zufriedenes Kind. Ich hatte bei ihr immer das Gefühl, sie nutze die Zeit voll aus, die sie hier auf Erden hat, und hält sich nicht auf mit Unwohlsein und Unzufriedenheit.

Christian hatte sich drei Wochen freigenommen und blieb bei uns zu Hause, was im Nachhinein geradezu perfekt geplant war. Vom Tag der Geburt an – an einem Sonntag – und drei ganze Wochen lang konnte er so seine kleinste Tochter genießen, einfach bei ihr sein. Wir wechselten uns ab mit dem Trinken-Geben und erlebten alle zusammen eine sehr innige Zeit.

Auch Laila kam dabei nicht zu kurz. Im Nachhinein denke ich, hat Mara uns das in diesem Umfang erst ermöglicht. Sie war ein sehr ruhiges Kind, hat mich mit Laila spielen lassen und dabei friedlich gelegen. Zu Mara hatte Laila ein sehr liebevolles Verhältnis. So oft sie konnte, wollte sie sie berühren, bei ihr sein, mir über die Schulter gucken, wenn ich mich mit Mara beschäftigte.

Überhaupt war es eine sehr ausgefüllte und auch schöne Zeit. Fünf Wochen lang – fünf ganze Wochen von Sonntag bis Sonntag – trotz der schlechten Prognose.

Nur schwebte Maras Tod über uns wie eine schwarze Wolke, die ganze Zeit über. Gerade in den ersten Tagen nach der Geburt konnte ich diesen Gedanken an ihr nahes Ende nicht von mir schieben. Permanent war er da. Recht schnell wurde mir klar, dass es so nicht weitergehen konnte, es machte mich ganz fertig und ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Ich entschied für mich, dass ich Maras Tod nicht unentwegt vor Augen haben konnte. Es ging nicht. Und so verdrängte ich ihn.

Nach diesem Entschluss ging es mir besser. Ich hatte das Gefühl, mein Kind jetzt besser annehmen und auch wirklich lieben und in mein Herz schließen zu können. Mit dem Gedanken an ihren Tod, der jederzeit eintreten konnte, im Hinterkopf war es mir unmöglich gewesen, mich voll auf sie einzulassen. Die Angst vor einer zu festen Bindung in Erwartung der Trennung von ihr war da. Und so ließ ich mich ganz auf sie ein. Nahm sie, wie sie war. Meine kleine Mara.

In viel zu vielen Momenten allerdings wurde ich von der schwarzen Wolke wieder eingeholt und ganz umhüllt. In Momenten, in denen ich dachte, sie atme nicht mehr und ganz genau in ihren Stubenwagen schaute. In Momenten, in denen sie schlechter trank als gewöhnlich. In Momenten, in denen sie sich plötzlich übergab. Es waren ihrer genug und, wie gesagt, viel zu viele. Vergessen konnten wir beide Maras schlechten Gesundheitszustand nicht, auch wenn wir es gerne wollten.

Doch letztendlich ging es Mara in den ganzen fünf Wochen bei uns gut. Es gab nie großartige Probleme oder Komplikationen. Abgesehen von dem einen Arztbesuch wegen eines Pilzes im Windelbereich konnten wir ihr Untersuchungen und Arztbesuche ersparen. Wir konnten uns in diesen fünf Wochen wirklich ganz auf Mara einlassen und sie einfach nur genießen.

Das war das allergrößte Geschenk von ihr an uns. Diese Zeit mit ihr. Ohne großartige Einwirkungen von außen. Diese Zeit wird uns für immer in Erinnerung bleiben und Mara, wenn wir es wollen, für eine kurze Zeit wieder lebendig machen – zumindest in Gedanken.

Ihr Tod kam letztendlich doch unerwartet und schnell. Noch einen Tag vorher hatten wir Freunden geschrieben, dass wir zu viert zu Weihnachten und Silvester anreisen würden. Und dann, einen Tag später wurde sie abends plötzlich kälter, trank fast nichts mehr und übergab sich. An diesem Abend wusste ich, dass es soweit war. Ich spürte es mit einer Sicherheit, die ich sonst in ähnlichen Momenten nicht gehabt hatte, wie ich im Nachhinein merkte.

Ich legte sie wie jeden Abend in ihren Stubenwagen, nur dass der Abschied von ihr diesmal ein endgültiger sein würde. Ich dachte auch daran, bei ihr zu bleiben, aber ich hatte nicht die Kraft. Ich sagte mir aber, dass wenn ich jetzt ginge, ich mir sicher sein müsse, es im Nachhinein nicht zu bereuen. Und ich war mir sicher - bin es mir auch jetzt noch - und ging schlafen.

Am nächsten Morgen wurde ich gegen sieben Uhr wach und wusste sofort, dass Mara tot sein musste. Die ganze Nacht über hatte sie nicht nach Milch verlangt. Langsam und voller banger Angst ging ich zu ihrem Stubenwagen im Nachbarzimmer. Und da lag sie: ganz blass und still und unheimlich friedlich. Etwas Milch war ihr noch über den Mund gelaufen.

Ich stand einfach nur da und schaute sie an. Zu mehr fehlte mir die Kraft. Nach und nach drang in mein Bewusstsein, was geschehen war. Nach und nach erst erkannte ich die Endgültigkeit. Ich brauchte lange, um mich ihr zu nähern, ihr die Milch vom Mund zu wischen, sie letztendlich hochzunehmen und in meine Arme zu schließen. Sie war so kalt und steif. Ich hielt sie lange so an mich gepresst. Ich wiegte sie, wie ich es getan hatte, um sie zu beruhigen. Ich versuchte, mich zu beruhigen und weinte. Erst nach endlos langer Zeit legte ich sie wieder in ihren Wagen und ging zu Christian ins Schlafzimmer. Er schlief noch tief und fest. Er wusste noch nichts von alldem. Christian war zutiefst erschüttert über meine Worte. Er hatte nicht, wie ich, damit gerechnet, dass Mara an diesem Morgen tot sein könnte. Für ihn kam das völlig überraschend.

Der Tag verlief wie im Nebel. Entweder Christian oder ich blieben bei Laila und unserer stillen Mara, und der jeweils andere ging spazieren, versuchte Ruhe in seinen Kopf zu bekommen. Die Hebamme kam und mit ihr eine befreundete Ärztin, die Maras Tod feststellte. Marina, die Hebamme, zog Mara frisch an und wickelte sie. Ich konnte das nicht. Den Strampler, den Mara anhatte, zog sie ihr wieder an. Mara war in dem Strampler gestorben, in dem wir vorhatten, sie zu beerdigen. Welch merkwürdiger Zufall.

Anderthalb Tage blieb Mara so still bei uns. Wir legten sie in ihren Korb, den wir als ihre letzte Ruhestätte bestimmt hatten, ihr Schmusetier an ihrer Seite. Sie lag da, als ob sie schliefe, und ein seltsamer Frieden ging von ihr aus.

Mara hatte ein erfülltes Leben – viel länger, als jeder es angenommen hatte. Und ihr Tod kam schnell und friedlich über sie. Mehr konnten wir uns nicht für sie wünschen, und auch für uns nicht.

Mit stillen Grüßen an unseren kleinen Stern. Mara.

Zuletzt aktualisiert: Januar 2008