Elternbefragungen

Belastung, Bedürfnisse und Zufriedenheit von Eltern schwerbehinderter Kinder im Frühförder- und Kindergartenbereich

Prof. Dr. Klaus Sarimski 
Sonderpädagogische Frühförderung, Pädagogische Hochschule Heidelberg

Im Jahre 2008 beteiligten sich 70 Eltern der Elternselbsthilfegruppe „LEONA e.V.” an einer umfangreichen Erhebung zur Belastung, Elternbedürfnissen und der Zufriedenheit mit Frühförderung und Kindergarten. Die Ergebnisse dieser schriftlichen Befragung gingen zusammen mit den Angaben von 34 Eltern aus anderen Selbsthilfegruppen in die Auswertung ein, über die hier berichtet werden soll. Bei 44 dieser Kinder lag eine schwere Behinderung, bei 60 eine leichtere Behinderung vor, bei mehr als 40% der Kinder auch eine zusätzliche Seh- oder Hörschädigung. Das Alter der Kinder lag zwischen 11 und 99 Monaten (Mittelwert 4;10 Jahre). Keines der Kinder besuchte bereits eine Schule.

Zu den vielen erfragten Informationen gehörten die Fähigkeiten des Kindes in unterschiedlichen Entwicklungsbereichen und die charakteristischen Verhaltensmerkmale. Im Fähigkeitsprofil zeigte sich bei vielen – auch den schwer behinderten – Kindern eine relative Stärke im Sprachverstehen und in der praktischen Selbständigkeit, aber eine besondere Schwäche in den sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten und in den motorischen Fähigkeiten. Viele schwer behinderte Kinder wurden als sozial sehr zurückgezogen beschrieben.

Die Eltern- und familienbezogene Belastung wurde mit zwei Fragebögen beurteilt. Der erste Fragebogen misst die emotionale Belastung und die Belastung in den alltäglichen Interaktionen mit dem Kind getrennt. 70% der Mütter beschrieben sich als hoch belastet in den Alltagsinteraktionen – hier besteht also in vielen Familien ein eindeutiger Unterstützungs- und Beratungsbedarf. Deutlich weniger, d.h. 40%, erwiesen sich auch als emotional sehr hoch belastet mit der Bewältigung der besonderen Lebenssituation und den Zukunftssorgen. Wichtig ist darauf hinzuweisen, dass 60% der Mütter sich psychisch relativ stabil fühlten.

Im zweiten Fragebogen wurden die Auswirkungen auf das Familienleben deutlich. Die größten Einschränkungen bestehen danach in den vielfältigen Terminen, die zu bewältigen sind, der Grenzen für die eigene Berufstätigkeit, eine geringe Planbarkeit des Alltags sowie Schwierigkeiten, eine Betreuungsentlastung zu finden. Viele Mütter beschrieben sich als allgemein erschöpft. Nicht wenige äußerten auch die Sorge, den Geschwisterkindern nicht genügend Zeit widmen zu können, und gaben an, dass es schwer sei, die Probleme mit dem Partner zu besprechen und zu teilen.

Welche Mütter beschreiben sich als hoch belastet, welche kommen mit der Situation besser zurecht? Die Untersuchung der Zusammenhänge zeigt zwei wichtige Faktoren: Die Bewältigung des Alltags und der emotionalen Herausforderungen gelingt leichter, wenn die Mütter sich in einem sozialen Netz von Familie und Freunden gut unterstützt fühlen. Hoch belastet fühlen sie sich insbesondere dann, wenn die Kinder ausgeprägte soziale Verhaltensauffälligkeiten entwickelt haben. Das Alter des Kindes oder der Schweregrad seiner Behinderung als solcher spielen nicht die entscheidende Rolle für die erlebte Familienbelastung.

Welche Bedürfnisse äußern die Mütter? Mehr als 60% der Mütter sagen, dass sie teilweise oder sehr deutlich mehr Informationen zum Umfang mit kritischen Verhaltensweisen und (künftigen) Fördermöglichkeiten suchen. Ebenso viele suchen Gespräche innerhalb der Familie als Unterstützung, aber auch Beratungsmöglichkeiten mit dem Mitarbeiter der Frühförderung, den Therapeuten oder einem Psychologen oder Sozialarbeiter. Fast ohne Ausnahme geben die Mütter an, Entlastung von den Betreuungsaufgaben und mehr Zeit für sich selbst zu benötigen. Über die Hälfte haben Schwierigkeiten, eine Pflegeentlastung zu finden. Genauso viele Mütter melden ein Bedürfnis nach finanzieller Unterstützung an, um zusätzliche Ausgaben für Ernährung, Ausstattung der Wohnung, Hilfsmittel oder ambulante Hilfen bezahlen zu können.

Die überwiegende Mehrheit der Mütter ist mit der Unterstützung durch die Fachkräfte der Frühförderung zufrieden. Etwa 20% wünschen sich aber mehr Unterstützung bei der Bewältigung der Behinderung, mehr Einbeziehung in die Festlegung der Therapieziele, doppelt so viele wünschen sich von den Einrichtungen mehr Unterstützung in der Zusammenarbeit mit Ämtern, Ärzten oder Kliniken. Insbesondere Informationen zu Pflegegeld und anderen finanziellen Hilfen werden dort vermisst. Im Vergleich dazu fällt die Zufriedenheit mit Ärzten deutlich niedriger aus. Ein Drittel der Mütter fühlen sich mit ihren Sorgen nicht erst genommen, bzw. haben den Eindruck, dass die Ärzte nicht über genügend Fachwissen verfügen oder sich nicht genügend Zeit nehmen, um ihre Fragen zu beantworten.

Welche Schlussfolgerungen kann man aus diesen Erfahrungen ziehen? Familien, in denen ein Kind mit einer schweren Behinderung groß wird, stehen vor komplexen Problemen. Fachleute sind dann hilfreiche Partner, wenn sie über Fördermöglichkeiten informieren, konkrete Empfehlungen zur Lösung schwieriger Verhaltensprobleme geben, auch bei der Zusammenarbeit mit Ämtern oder medizinischen Einrichtungen eine Unterstützung anbieten und sozialrechtliche Hilfen vermitteln, die den Weg zu Entlastungen öffnen. Die emotionale Stabilität der Mütter wird aber zu einem beträchtlichen Teil davon bestimmt, wie tragfähig das Netz sozialer Beziehungen innerhalb und außerhalb ihrer Familie ist.

Die Ergebnisse der Befragung werden in verschiedenen Fachzeitschriften publiziert. Bisher sind Artikel zu folgenden Themen eingereicht und zur Veröffentlichung angenommen worden: Belastung und Bedürfnisse von Müttern schwer behinderter Kinder (Frühförderung interdisziplinär), spezifische Belastungen bei Sondenernährung der Kinder (Teilhabe), spezifische Verhaltensprobleme bei Kindern mit schwerer Behinderung (Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie).

Zum Schluss möchte ich allen Eltern, die sich die Zeit für die Beantwortung der sehr umfangreichen Fragebögen genommen haben, noch einmal sehr herzlich danken. Ich hoffe, das auf diese Weise gesammelte Wissen der Familien aus dem Alltag trägt dazu bei, dass mehr und mehr Eltern schwer behinderter Kinder die Unterstützung finden, die sie auf ihrem besonderen Weg brauchen.

(Dezember 2009)

Entwicklungsprobleme und Elternbelastung bei seltenen chromosomal bedingten Entwicklungsstörungen

Bereits in den Jahren 1997/98 hat Dr. Klaus Sarimski, damals Kinderpsychologe am Kinderzentrum München und Mitglied im LEONA-Fachbeirat, eine Umfrage unter den Mitglieds- und Kontaktfamilien von LEONA e. V. zur psychosozialen Belastungssituation durchgeführt.

Das Ergebnis dieser Untersuchung wurde bereits in der Zeitschrift "Geistige Behinderung" 04/1998 (Hrsg: Lebenshilfe e. V.) veröffentlicht. Die ausführliche Auswertung der Umfrage sowie eine zusammengefasste Informationsschrift für Eltern können hier abgerufen werden.

Link Aus Anlass eines Familientreffens am 11.10.1997 in Dortmund wurde eine Elternbefragung begonnen, um die pädagogischen Förderbedürfnisse und Elternbelastungen von Kindern mit seltenen chromosomalen Entwicklungsstörungen zu dokumentieren. Sie soll dazu beitragen, die Erstinformation von Eltern zu verbessern und Fachleute über die spezifischen Probleme zu informieren.
Link Diese Informationsschrift wendet sich an Eltern von Kindern mit seltenen chromosomal bedingten Entwicklungsstörungen. Sie soll helfen, etwas mehr über die Entwicklungsbesonderheiten der betroffenen Kinder zu wissen und die besonderen Herausforderungen und Aufgaben zu verstehen, denen sich die Eltern gegenüber sehen.

Kontakt

LEONA – Familienselbsthilfe bei seltenen Chromosomen- veränderungen e.V.

Geschäftsstelle
Daniela Thöne
Kornblumenweg 38
59439 Holzwickede

Telefon: 02301 / 18 466 85
Fax: 02301 / 18 466 86
E-Mail: geschaeftsstelle@leona-ev.de