Lea
freie Trisomie 18
Schwangerschaftsabbruch 23. SSW, 350 gr, 25 cm, April 2003
Zuletzt aktualisiert: Juli 2003
Wir waren glücklich, als wir erfuhren, dass ich wieder schwanger bin und ich mit 34 Jahren mein drittes Kind erwarten durfte. Der voraussichtliche Entbindungstermin wurde für den 02.08.2003 ausgerechnet.
Die Schwangerschaft lief zunächst normal und außer den normalen Übelkeitserscheinungen ging es mir ganz gut.
In der 16. Schwangerschaftswoche war ich am 10.02. montags zu einem Kontrolltermin bei meiner Frauenärztin, bei der auch Ultraschall gemacht wurde. Eigentlich erwartete ich, heute zu erfahren, ob wir uns auf eine Tochter oder einen Sohn freuen können - - -
Sie setzte das Ultraschallgerät auf meinen Bauch, ich sah das strampelnde Baby - sie schaute auf den Monitor, stockte - und sagte: "Da ist etwas nicht in Ordnung" und zeigte mir einen großen dunklen Schatten, der sich unter dem Kind herzog, am dicksten am Nacken und auch oberhalb, also am Bauch. "Das Kind ist nicht lebensfähig, scheint einen Gehirnschaden zu haben, das können Sie nicht behalten..." hörte ich.
Es kann nicht wahr sein, - - - was erzählt dir diese Frau da...
In mir wiederholten sich immer wieder die Worte"nicht lebensfähig - Gehirnschaden" und mir liefen die Tränen über das Gesicht.
Sie nannte es "Nackenödem", was sie davon überzeugte, dass das Kind einen Chromosomenschaden hätte. Die Frauenärztin rief noch während des Ultraschalls bei einem Spezialisten für Pränatal-Medizin an und machte noch für den gleichen Tag einen Termin.
Wie betäubt ging ich nach Hause, rief weinend meinen Mann an und berichtete von dem gerade Gehörten. Er nahm sich für den Rest des Tages frei, kam sofort nach Hause, wir sprachen und weinten über die schlechte Nachricht. Mittags kamen die Kinder aus der Schule:"Mama, was wird es?" und wir konnten nur sagen: "Wir wissen es nicht, nur dass das Baby sehr krank ist und wahrscheinlich nicht leben kann".
Am Nachmittag fuhren wir zu der Untersuchung.
Bei dem Spezialisten wurde in Anwesenheit von mehreren Ärzten Ultraschall und verschiedene Messungen gemacht. Man sagte uns dann, dass das Nackenödem tatsächlich sehr dick sei, fast 2 cm, und dass das Kind eine Woche zurück sei. Man empfahl uns, aufgrund der negativen Werte und zu einer sofortigen Abklärung, eine Fruchtwasseruntersuchung und auch eine Probe des Mutterkuchens zu nehmen. Wir waren völlig durcheinander und verzweifelt und stimmten diesen Untersuchungen zu. Am Mittwoch, also zwei Tage später, sollten die Ergebnisse da sein... Die Stunden bis dahin waren schrecklich und tränenreich...
Am Mittwoch rief ich dann bei dem Spezialisten an und man sagte mir mir, dass sie leider keine gute Nachricht für mich hätten: "Trisomie 18, schwerer Chromosomenschaden - - - setzen Sie sich mit Ihrem Frauenarzt in Verbindung, der wird sich um alles weitere kümmern..." Erschüttert und verwirrt, was Trisomie 18 überhaupt ist, setzte ich mich an den Computer und versuchte möglichst viele Informationen darüber herauszubekommen. - Dabei konnte ich dann lesen, welche schweren Schädigungen damit verbunden sind.
Am Donnerstag rief ich meine Frauenärztin an, die mir sofort zu einem Schwangerschaftsabbruch riet und mir empfahl, mit einer Entscheidung nicht so lange zu warten... Freitags hatten wir einen Termin bei einer Genetikerin, die uns mitteilte, dass wir ein Mädchen erwarteten, sie erklärte uns auch, dass es an keinem von uns läge, sondern einfach "dumm gelaufen" sei und wir Zeit bis zur 20.-22. SSW hätten, um uns zu entscheiden, entweder das Kind auszutragen oder die Geburt vorher einzuleiten. Sie klärte uns dann über Themen wie Schwangerschaftsabruch, Beerdigung, Selbsthilfegruppen usw. auf. Sie sprach auch davon, das 90 % der Kinder schon in der Schwangerschaft sterben...
Auf dem Nachhauseweg sagte ich meinen Mann, dass ich dem Kind gerne einen Namen geben würde, wir entschieden uns für LEA. Als ich später in einem Namensbuch nachschlug, um die Bedeutung des Namens herauszufinden, stand dort: "Die sich vergeblich bemüht" ... und uns war klar, dieser Name war der richtige.
In der nächsten Zeit folgten viele Gespräche mit Fachleuten und Freunden, wir informierten uns weiter im Internet und besorgten uns Literatur in der Bücherei.
Die Traurigkeit, Enttäuschung und manchmal auch die Wut "Warum unser Kind???" verfolgte uns und alles drehte sich in Gedanken nur noch um LEA. Sollten wir die Geburt vorher einleiten, weil keine Hoffnung bestand und uns jetzt oder später nur der Tod vor Augen stand? Oder sollte ich die Schwangerschaft weiter laufen lassen, und trotzdem alle Babysachen wegräumen müssen, bzw. bei jedem Kinderwagen, der mir begegnete, Tränen in die Augen bekommen, weil ich das nicht haben würde... Die Tage und Nächte waren schrecklich und wir waren völlig zerrissen.
In mir wuchs der Wunsch, wenn schon, dann sollte sich Lea selber verabschieden und vorher gehen, bevor wir uns entscheiden mußten. Ich versuchte so normal zu leben, wie ohne Schwangerschaft, fuhr wieder Inliner, machte Sport, trug schwere Wäschekörbe und schonte mich nicht. Alles in der Hoffnung, LEA sollte sich auf den Weg machen und uns so von einer Entscheidung befreien. Aber sie saß geschützt in mir und ihr machten alle meine Aktivitäten nichts aus...
Die Zeit schritt fort und wir entschieden uns, dass wir in der 23. SSW ins Krankenhaus gehen würden.
Am 31. März war es dann soweit, wir fuhren ins Krankenhaus, Untersuchungen und Gespräche folgten nochmal und ich wäre am liebsten weggelaufen... Ich bekam insgesamt fünf Wehenzäpfchen und am 1. April vormittags platzte die Fruchblase und LEA kam...
Man sagte uns, sie sei schon länger tot... sie hatte alle typischen Zeichen für Trisomie 18 ...
Wir haben dann den ganzen Tag mit ihr verbracht, Fotos gemacht, sie angezogen (in Puppenkleidung) und Abschied von ihr genommen. Es kehrte Ruhe in uns ein und die innere Qual, die uns die ganzen Wochen begleitet hatte, fiel von uns ab. Plötzlich war es ok so, wir konnten es akzeptieren und sie gehen lassen.
Im nachhinein weiß ich, es war gut so, das wir uns nicht sofort so oder so entschieden haben, wie uns viele empfohlen haben (..."ihr macht es euch doch nur selber schwer, ihr könnt doch noch ein Kind bekommen..."), auch wenn die Wochen zermürbend waren. Das Annehmen und Akzeptieren, dass unser Kind keine Zukunft haben würde, brauchte Zeit und musste wachsen...
Irgendwann werden wir uns wiedersehen, LEA, ohne Schmerzen, ohne Leid, das glauben wir...
Susanne, im Juli 2003
Zuletzt aktualisiert: Juli 2003
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