Lydia

Triple-X-Syndrom
geb. Juli 2004

Zuletzt aktualisiert: Oktober 2006

Liebes LEONA-Team!

Liebe (werdende) Eltern einer Tochter mit Triple-X-Syndrom!

Mit meinem folgenden Bericht möchte ich jenen Eltern eine Hilfestellung bieten, die mit der Pränataldiagnose Triple-X-Syndrom bei ihrer ungeborenen Tochter konfrontiert sind - wie sehr hätte ich selbst während meiner Schwangerschaft einen positiven Artikel zu diesem Thema lesen wollen.

Als ich mein erstes Kind Lorenz im Sommer 2001 zur Welt brachte, hatten wir während der vorangehenden Schwangerschaft schon einige Erfahrung im Umgang mit der Pränataldiagnostik. Da ich mit damals 34 Jahren als "alte Erstgebärende" galt und bei unserem ungeborenen Sohn aufgrund einer sehr schlechten Nackenfalten- und mütterlichen Hormonlevelmessung eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Down-Syndrom bestand, wollten wir mit einer Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung) in der 16. SSW diesen Verdacht abklären lassen.

Das Ergebnis war unglaublich erleichternd - ein gesunder Junge. An die emotionale Berg-und-Talfahrt die mein Mann und ich in diesen wenigen Wochen zwischen dem konkreten Verdacht und dem endgültigen Befund durchmachen, kann ich mich heute noch erinnern und ich fühle es noch immer bei jedem werdenden Elternpaar mit.

Ziemlich genau drei Jahre später erwarteten wir unser zweites Kind. Um uns diesmal die Nackenfaltenmessung und ein unsicheres, aber verunsicherndes Ergebnis zu ersparen, hatten wir uns (beide nunmehr 37 Jahre alt) gleich für eine Amniozentese entschieden. Am nächsten Tag sollte das Ergebnis schon feststehen, da wir - um das bange Warten zu verkürzen - einen Schnelltest (FISH) anforderten. Erst spät am Abend kam dann der Anruf vom Leiter des Genetikinstitutes persönlich - da ahnte ich bereits, dass etwas nicht stimmt.

Er erklärte mir, dass unser Kind eigentlich ein gesundes Mädchen wäre, allerdings hätte sie eine Trisomie. Statt den üblichen 2 X-Chromosomen enthält jede Zelle unserer Tochter 3 X-Chromosomen (Triple-X-Syndrom, Karyotyp "47,XXX", Jacobs-Syndrom). Ungefähr jede 1000. Frau wäre meist unauffällige Trägerin dieses Chromosomensatzes und in Summe wären alle Fehlanzahlen der Geschlechtschromosomen (X0, XXX, XXY, XYY, usw.) zusammen noch immer häufiger als z.B. das Down-Syndrom. Jedoch stellte er sofort fest, dass dies kein Grund für eine Abtreibung sei. Es könnte nur sein, dass unsere Tochter nicht zu ausgesprochenen Intelligenzhöchstleistungen in der Lage wäre - er spielte damit darauf an, dass ich einen Hochschulabschluss in Mathematik habe. Körperlich wäre sie keinesfalls beeinträchtigt und sie würde so aussehen, wie wenn sie nur 2 X-Chromosomen hätte. Wir vereinbarten danach einen Termin für eine ausführliche genetische Beratung in seinem Genetikinstitut.

Da ich trotz seiner beschwichtigenden Ausführungen zwischenzeitlich mehr Details wissen wollte, trug ich per Internet alles an Informationen zusammen, die ich zu diesem Thema überhaupt finden konnte. Denn besonders die vielzitierte Intelligenzminderung ließ uns befürchten, dass unser Kind niemals ein eigenständiges Leben führen wird können. Von gehäuften Fällen von Schizophrenie und Epilepsie über extremen Hochwuchs bei geringem Kopfumfang und niedrigem Körpergewicht bis hin zur Unfruchtbarkeit reicht das Spektrum an angeblichen Symptomen - allerdings nicht wenige medizinische Abhandlungen nennen auch völlig gegenteilige Symptome. Auch war von der langsam sinkenden Anzahl von Schwangerschaftsabbrüchen die Rede, die die Eltern aufgrund der Diagnose Triple-X-Syndrom durchführen lassen. Mit jeder weiteren unsicheren Information stieg unser Selbstbewusstsein, dass wir trotzdem dieser Situation gewachsen wären, unsere Tochter großziehen könnten und diese dann auch auf eigenen Beinen stehen wird können.

Mit diesem Nicht-Wissen vorbereitet, nahmen wir dann den Termin der genetischen Beratung wahr. Alle unsere Fragen zu vermeintlich sicheren Symptomen beim Triple-X-Syndrom wurden vom Genetiker mit einem glatten NEIN beantwortet - einzig und allein eine verminderte Fruchtbarkeit wäre ein Symptom, das mit dem Triple-X-Syndrom gesichert in Verbindung gebracht werden kann - das ist schon durch das gehäufte Vorkommen von Triple-X-Frauen in Fruchtbarkeitskliniken belegt. Die generelle Vererbung des Syndroms wäre - durch genetische Untersuchungen nach künstlichen Befruchtungen - ebenfalls widerlegt. Lernschwierigkeiten und eine starke Introvertiertheit unserer Tochter wären möglich, sind aber keinesfalls sicher. Dann wies er uns noch darauf hin, dass wir zum Schutz unserer Tochter nach der derzeitigen Gesetzeslage Dritten (auch Familienmitgliedern) gegenüber zu Stillschweigen verpflichtet wären - außer natürlich Medizinern im Rahmen einer Behandlung. Außerdem sollten wir nicht die Volljährigkeit unserer Tochter abwarten, sondern ihr am Besten schon in der Pubertät (wenn die Reife vorhanden wäre) im Beisein eines Genetikers ihre genetische Konstitution erklären und alle ihre Fragen dazu beantworten.

Seinen letzten Satz beim Abschluss der Beratung werde ich niemals vergessen: "Sie werden in ganz Österreich kein Krankenhaus finden, dass eine Abtreibung nur aufgrund des Triple-X-Syndromes durchführt, lediglich vereinzelte Gynäkologen sind vielleicht dazu bereit, da sie unter Druck der verunsicherten Eltern nachgeben". Dieser Ausspruch hat damals meine letzten Zweifel weggewischt. Wir wollten unsere Tochter um jeden Preis behalten - mit allen Schwierigkeiten, die da kommen mögen: Lernschwierigkeiten, Introvertiertheit, Schüchternheit und Depressionen. Denn jedes noch so gesunde Kind könnte mit diesen Problemen konfrontiert sein.

Unsere Tochter Lydia wurde heuer im Juli 2 Jahre alt. Nichts was in den wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema Triple-X-Syndrom als bewiesen gilt, ist bei unserem Kind bis heute eingetroffen. Sie war bei ihrer Geburt schwerer als unser Sohn bei der seinen - auch hatten sie beide den gleichem Kopfumfang. Sie konnte mit 13 Monaten gehen und sie konnte an ihrem 2. Geburtstag besser sprechen als seinerzeit ihr älterer Bruder. Sie ist so "schüchtern", dass sie sich im Kasperltheater vor die Bühne stellt und zur allgemeinen Erheiterung herumtanzt - etwas, das ich selbst als Kind aus Schüchternheit niemals getan hätte. Sie bedient - wie viele 2-Jährige - mit einer großen Selbstverständlichkeit unseren DVD-Player und will sich prinzipiell selbst anziehen und selbst essen. Jede Form von Bewegung und Spiel ist ihr wichtig und unsere Späße werden ihrerseits mit lautem Gelächter quittiert. Sie ist sehr temperamentvoll und liebt viele andere Kinder um sich - beim Abholen vom Kindergarten muss ich durchschnittlich eine halbe Stunde auf sie warten, denn sie möchte nicht gleich mitgehen. Nichts, aber auch gar nichts unterscheidet sie von anderen Mädchen diesen Alters.

Mangels anderer Vergleiche möchte ich erwähnen, dass unser "genetisch unauffällige" Sohn uns seit seiner Geburt wesentlich mehr auf Trab hält: das Stillen war ein Ding der Unmöglichkeit, ich habe nach ein paar Wochen aufgegeben, aufgrund seiner schwachen Grobmotorik mit 2 Jahren musste er ein Jahr lang eine motopädagogische Fördergruppe besuchen, dann wurde ein Herzgeräusch bei ihm festgestellt, das schließlich als ungefährlich abgeklärt wurde und seit vorigem Winter nehmen wir eine Logopädin in Anspruch, da er - trotz großem Sprachvermögens - einzelne Buchstaben nicht richtig aussprechen kann. All diese Fakten sind für meinen Mann und mich ein täglicher Beweis, dass mit Kindern sowieso ständig neue Überraschungen auf uns Eltern zukommen und zwar egal ob Triple-X-Syndrom oder nicht.

Wir halten uns weiterhin an unsere Strategie, niemanden im Familienkreis, im Kindergarten oder später in der Schule gleich vorweg auf die Trisomie unserer Tochter aufmerksam zu machen. Nicht weil wir uns etwa schämen - im Gegenteil sind wir sehr stolz auf sie - sondern weil wir jede Voreingenommenheit unserem Kind gegenüber verhindern wollen. Kein Familienmitglied oder Pädagoge soll ihr mangels Zutrauens, Aufgaben und Entwicklungsschritte erleichtern, denn genau das wäre unseres Erachtens die falsche Methode, ihr auf den Weg in die Eigenständigkeit zu helfen.

Allerdings sind wir weiter wachsam, denn einige Symptome können erst später auftreten. Wir haben das Glück in der Großstadt Wien zu leben, so konnten wir eine Kinderärztin finden, die sich auf Genetik und Entwicklungsdiagnostik spezialisiert hat. Damit wird uns durch alle Entwicklungsstufen unserer Tochter hindurch jemand zur Seite stehen, der Erfahrung, Wissen und die nötige Sensibilität im Umgang mit diesem Syndrom hat und bei Bedarf entsprechende Fördermaßnahmen einleiten kann.

Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass wir begeistert sind, von dem hohen Niveau der genetischen Beratung, die uns zuteil wurde, denn wir fühlten uns keinen Augenblick zu irgendetwas gedrängt - jede Entscheidung lag zu jedem Zeitpunkt allein in unserer Hand.

Jedenfalls ist es mir ein Bedürfnis - trotz des erwähnten Datenschutzgesetzes - diese Informationen an betroffene Eltern weiterzugeben, denn die Häufigkeit dieser Trisomien wird aufgrund steigenden mütterlichen Alters weiterhin zunehmen und immer mehr werdende Eltern werden in Zukunft mit dieser ziemlich verunsichernden Diagnose konfrontiert sein. Ich persönlich empfinde jeden Schwangerschaftsabbruch nur aufgrund der Diagnose Triple-X-Syndrom als völlig sinnlos - noch heute plagt mich angesichts meiner lebenslustigen Tochter das schlechte Gewissen, dass ich es damals in der Schwangerschaft in den ersten Tagen nach der Diagnose auch nur kurz in Erwägung gezogen habe.

Martina

PS: Wir sind jederzeit gerne bereit, Auskunft zu unseren Erfahrungen mit dem Triple-X-Syndrom zu geben.

E-Mail-Adresse: Martina

Zuletzt aktualisiert: Oktober 2006

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