Jana

2020, *†12.07.2020; Triploidie

Mein Mann und ich wussten von Anfang an, dass wir Kinder wollten. Nach unserer Hochzeit 2018 hat es noch knapp 2 Jahre gedauert, bis ich Ende 2019 (am Nikolaus) nach einer Hormonbehandlung endlich einen positiven Test in Händen hielt. Wir waren unglaublich glücklich und konnten es kaum erwarten, unseren Familien und Freunden davon zu erzählen. Meine Schwangerschaft verlief von Anfang an unkompliziert, ich hatte weder Übelkeit noch Blutungen und fühlte mich (abgesehen von einer großen Müdigkeit in den ersten Wochen) topfit. Nachdem die kritischen 12 Wochen überstanden waren, konnten wir es endlich auch allen erzählen. Wir verzichteten trotz meines Alters (35) auf eine pränatale Untersuchung, da wir wussten, dass wir das Kind auf jeden Fall wollten, auch wenn es eine Behinderung hätte. 

Die Schwangerschaft verlief weiter problemlos, in der 20. Woche stand dann das große Organscreening an. Der Arzt stellte fest, dass das Baby 2 Wochen „zu klein“ war, konnte aber sonst keine Auffälligkeiten finden. Dennoch sollte ich zur Sicherheit zur pränatalen Diagnostik. Ich hatte keine Angst und fuhr ganz ruhig zum Termin. Der Arzt schallte Ewigkeiten und bat mich dann später in sein Büro. Ich kann mich noch an die Worte erinnern: „Ihr Baby ist deutlich zu klein, ich kann Anomalitäten an Händen und Füßen erkennen. Ich kann nicht ausschließen, dass es sich um einen Gendefekt handelt - und ich spreche nicht von Trisomie 21, sondern Trisomie 18, das Kind wäre so nicht lebensfähig“. Die Worte kommen mir heute noch so unwirklich vor. Er riet mir dringend zu einer Fruchtwasserpunktion, die er auch am selben Tag durchführen wollte. Ich ging aus der Praxis und weinte, rief meinen Mann an, der sofort kam. Die Punktion wurde (zum Glück ohne Komplikationen) durchgeführt. Danach mussten wir 2 Tage auf das Ergebnis warten. Die Zeit war schrecklich. Wir klammerten uns an die kleinste Hoffnung, dass unser Kind wenigstens leben durfte. Wir beteten und weinten zusammen.  

2 Tage später fuhren wir zum Termin ins Genetikum. Dort bekamen wir die endgültige Diagnose. „Ihr Kind hat keine Trisomie 18, sondern eine Triploidie. Alle Chromosomensätze sind 3-fach vorhanden. Nicht lebensfähig“. Eine Laune der Natur, für die niemand etwas konnte. Es war, wie wenn mir der Boden unter den Füßen weggezogen würde. Und das alles kurz vor Ostern… Mein Mann übernahm das Wort, ich saß nur still da. Alle Vorfreude, alles was wir uns vorgestellt hatten, zerplatze wie eine Seifenblase. Wir bekamen die verschiedenen Möglichkeiten aufgezählt, die Schwangerschaft abzubrechen oder zu warten, bis die Kleine von selbst gehen würde. 

Wieder zu Hause weinte ich viel. Der Gedanke die Schwangerschaft fortzuführen erschien mir Anfangs kaum zu bewältigen. Den Bauch wachsen zu sehen, alles normal weiterzuführen. Ohne eine geringste Ahnung wie lange es dauern würde. Aber schon bald merkte ich, dass ich es niemals übers Herz bekommen würde, meiner kleinen Tochter auch nur einen Tag Ihres Lebens zu nehmen. Egal was es mich an Kraft kosten würde. Ich wollte ALLES für meine Tochter geben. Mein Mann war sehr dankbar über diesen Entschluss, setzte mich aber zu keinem Zeitpunkt unter Druck, wofür ich ihm sehr dankbar war. Die nächsten Tage lenkte sich mein Mann viel vor dem TV ab, ich war viel spazieren. So auch am Karfreitag. Und auf einmal wusste ich aus tiefstem Herzen, dass ich unsere Tochter so lange bei mir behalten wollte, bis Sie selbst bereit war zu gehen. Ich entschloss mich, ihr in der Zeit, in der Sie bei uns war, alles zu geben, was ich ihr alle Mutter geben konnte. Als ich unter Tränen meinem Mann davon erzählte, weinten wir zusammen und versprachen uns, dass wir die Zeit mit unserer Tochter so gut es ging genießen wollten, Sie sollte spüren, dass wir für Sie da sind. Unsere Kleine war für uns zu diesem Zeitpunkt schon das größte Wunder, die meisten Kinder mit einer Triploidie sterben schon in den ersten Wochen. Wir wussten nicht, ob Sie lebend zu Welt kommen würde, aber egal wie, wir waren dankbar, dass Sie schon so lange bei uns war. Die nächsten Tage und Wochen waren ein Wechselspiel aus Gefühlen. War ich anfangs so positiv, kam schnell eine Zeit der Wut, Enttäuschung und des Frustes, aber auch immer wieder die tiefe Trauer. Das Kind und alles was man sich ausgemalt hatte loszulassen erschien mir unmöglich. Und trotz Allem… hielten wir immer an der Hoffnung und dem Wissen fest, dass irgendwann alles „gut“ werden würde. Dass Gott einen guten Plan für uns hatte, auch wenn wir das alles jetzt nicht verstehen konnten. Ja ich klagte Gott auch an, war zornig und fühlte mich ungerecht behandelt. Aber das Festhalten an Gott und der Hoffnung half uns über die ganze Zeit hinweg, gab uns die Kraft, die wir brauchten. 

An einem Abend als ich voller Wut und Trauer war, ging ich spazieren. Ein kleines Mädchen fuhr auf dem Fahrrad an mir vorbei, hinter ihr der große Bruder, der auf Sie aufpasste. Die Kleine lächelte mich an, ich war so berührt, es war, als wenn Sie sagen würde: Sei nicht traurig. Und auf einmal wusste ich, dass meine Tochter zu mir gesprochen hatte, durch dieses Mädchen, um mir zu sagen, dass es ihr gut ging, dass ich nicht traurig sein sollte. Der große Bruder lächelte mich ebenfalls an und ich wusste: Ihr geht es gut, und Gott passt auf meine Kleine auf! An diese Situation denke ich bis heute immer wieder, Gott spricht zu uns auf den wunderbarsten Wegen. Ich hatte in diesem Moment einen tiefen inneren Frieden. 

Wir beschlossen, dass wir für unser Kind einen Baum pflanzen wollten. Ich besorgte eine Erinnerungskiste, in die alles was wir von Ihr hatten, eingepackt werden sollte. Wir überlegten uns wie wir die Beerdigung gestalten sollten, Sie sollte in das Grab meiner Großeltern, wo Sie nicht so „alleine“ war. Die Beerdigung zu planen war hart – aber wir wollten das Beste für unser Mädchen! 

Wir wollten Erinnerungen schaffen, unserem Kind Orte unserer Liebe zeigen. Mein Mann wollte unbedingt, dass Sie weiß wie Eis schmeckt, und so gingen wir Eis essen. Jedes Mal, wenn ich Erdbeereis sehe, denke ich nun an Sie… 

Ich ging weiter wie gewohnt zum Ultraschall. In der 25. SSW war ich mit meinem Mann dort. Wir waren erleichtert, dass die Kleine noch lebte, es war einfach wunderbar Ihre Bewegungen zu sehen. Dennoch war ich danach sehr traurig. Es erschien alles so unrealistisch, die Kleine wirkte so munter und dennoch sollte Sie nicht bei uns bleiben? 

Wir sind heute noch dankbar für so viele Menschen, die in dieser Zeit für uns beteten, für uns da waren, mit uns durch diese Situation gingen. Familie, Freunde, unsere Gemeinde. Und dass wir UNS hatten. Auch wenn es für uns als Paar nicht immer leicht war, da jeder auf seine Weise trauert, wussten wir immer, dass wir diesen harten Weg zusammen gehen würden. 

Wir nannten die Kleine nun auch immer beim Namen – Jana! In der 29. Woche hatte ich das erste CTG. Es war schön aber auch unendlich traurig, das Herz schlagen zu hören. In dem Wissen, dass es irgendwann in den nächsten Wochen aufhören würde. Auch wenn ich meine Entscheidung, Sie bis zum Ende auszutragen nie wirklich in Frage stellte, merkte ich doch, wie es mehr und mehr an der Kraft zehrte. So sehr ich mich auch freute, dass Sie da war und so groß die Angst vor dem Abschied auch war, wünschte ich mir an manchen Tag, dass alles vorbei wäre. Man irgendwie wieder nach vorne schauen könnte und alles verarbeiten. Bei solchen Gedanken bekam ich immer ein unendlich schlechtes Gewissen gegenüber Jana. Auch wenn ich wusste, dass das menschlich ist, dennoch erschien es mir unfair, da ich Sie ja nicht hergeben wollte. 

Die ganze Zeit über hatte ich immer die 30. Woche im Kopf. Bis dahin wusste ich, würde Sie es schaffen. Und so was es auch. Die 30. Woche kam und Jana war immer noch bei uns! Und sie kämpfte weiter. So auch ich. So schwer manche Tage auch waren, gab Gott mir immer die Kraft, die ich brauchte, um durchzuhalten. 

In der 33. Woche hatte ich nur noch sehr wenig Fruchtwasser, das Kind hatte sich kaum weiterentwickelt. Sie war sehr weit zurück, auch das CTG war schwach. Nach dem Termin dachte ich, es würde nun nicht mehr lange dauern. Aber unsere Jana blieb noch weiter bei uns! Bis zur nächsten Kontrolle in der 35. Woche… 

An diesem Tag konnte mein Arzt keinen Herzschlag mehr finden. Wir waren einfach nur unendlich traurig. Hatten gehofft Ihr lebend zu begegnen. Aber Gott wollte es anders. Am nächsten Tag musste ich in Krankenhaus, zur Einleitung der Geburt. 

Die Einleitung dauerte 4 Tage. Mein Körper war einfach noch nicht bereit. Oder vielleicht wollte Jana einfach noch bei mir bleiben? Am 12.07.2020 um 16.24 Uhr kam unsere Jana still zur Welt. Mit 37cm und 700g. Die Geburt war definitiv einer der schönsten – und zugleich traurigsten Momente in unserem Leben! Sie zu sehen machte uns so unendlich stolz und glücklich. Ich bekam Sie gleich in die Arme – Sie war schon sehr weich, da Sie ja schon einige Tage nicht mehr lebte. Dennoch war Sie so schön. So perfekt. Man hat ihr Ihre Krankheit kaum angesehen. Das Team im Krankenhaus war sehr liebevoll. Sie gaben uns eine Decke und ein Mützchen für Jana. Später kam noch eine Sternenfotografin und machte tolle Bilder! Wir sind heute noch sehr dankbar dafür und haben ein Fotoalbum erstellt. Ich durfte Jana die ganze Nacht bei mir behalten. So komisch es klingt, aber solange Sie bei mir war, war irgendwie alles „ok“. Ich war einfach glücklich, dass Sie da war. Am nächsten Morgen kam dann der Moment – wir mussten Jana im Krankenhaus zurücklassen. Das war der mit Abstand schrecklichste Moment in unserem Leben. Ich habe nicht mal geweint. Ich habe nur funktioniert in diesem Augenblick. Wieder zu Hause war alles so unwirklich. So still… so leer… 

Die nächsten Tage waren sehr schwer. Ich weinte viel. Eine Woche später fand die Beerdigung statt. Sie wurde wie geplant im Grab meiner Großeltern beigesetzt. Unser Pastor fand sehr schöne Worte und es war trotz Allem eine friedliche Atmosphäre. Das Grab besuchte ich in den kommenden Tagen und Wochen täglich. Ich weinte weiter sehr viel. Einige Zeit später kam dann wieder viel Wut dazu, Frust, Enttäuschung… der Schmerz über den Verlust von Jana war und ist einfach übermenschlich. Nach 7 Wochen fing ich wieder an zu arbeiten. Es fiel mir schwer, da ich immer das Gefühl hatte, dass das jetzt nicht richtig ist. Dass ich jetzt mit Jana zu Hause sein sollte... 

Janas Geburt ist jetzt fast 8 Wochen her. Es ist immer noch schwer. Wenn ich andere Schwangere sehe, möchte ich einfach nur wegschauen. Fühle mich ungerecht behandelt. Wieso darf meine Jana nicht da sein? Trotz Allem sind wir so dankbar! Dankbar, dass wir Jana in den Armen halten, Sie sehen durften. Dankbar, dass Sie bei uns war…und in unseren Herzen immer bei uns bleibt! Immer wenn ich einen weißen Schmetterling sehen, denke ich an meine Tochter. Wir sind eine Familie! Auch wenn das im Alltag schwer zu spüren ist. Man ist Mama... und irgendwie doch nicht… 

Langsam und Stück für Stück versuche ich nun wieder in den Alltag zu finden. Es ist nicht leicht. Ich bin dankbar, dass meine Seelsorgerin mich begleitet. Und ich Kontakt zu Frauen haben, die dasselbe erlebt haben. Wir beten viel zu Gott, dass er uns Heilung schenkt… und vielleicht bald ein Geschwisterchen für Jana schickt… 

 

Eva Becker - Oktober 2020 

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